• Ein Tag am Aprilnebelmeer

    Das große Warten auf den Frühling hat schon lang begonnen – ich weiß. Und wie es aussieht, ist er ja nun da. Jeder Sonnenstrahl wird willkommen geheißen, genutzt und gefeiert. Die Schlange an der Eisdiele um die Ecke ist verlässlich lang, in den Hinterhof-Gärten werden die Tische zum Abendessen gedeckt. Der frühlingsblaue Himmel bekommt ein paar frische Farben zur Gesellschaft und zeigt sich vertraut mit ihnen Hand in Hand: grüne Wiesen und erblühender Ginster, Kirschblüten und Osterglocken – eine muntere Gang erfüllt ein ersehntes  …

  • Von Köln nach Neukölln

    Vor ein paar Tagen ist Jasmin mit all ihren Habseligkeiten einmal quer durchs Land gefahren. Los ging die Reise in Köln-Ehrenfeld, das Ziel war Neukölln in Berlin.Dort lebt Jasmin nun – was natürlich eine Feststellung ist, der es an Feinsinn mangelt. Denn wenngleich Jasmin samt Tisch und Bett den Ortswechsel äußerlich vollzogen hat, dürfte der innere Umzug noch ein Weilchen andauern. Man lebt ja nicht gleich los, als wäre alles so wie immer. Jasmin nimmt sich also erst mal etwas Zeit um anzukommen, um sich einzurichten und sich einzufinden  …

  • Frontlader

    Eine erfreuliche Entwicklung im Stadtbild ist die stetig steigende Zahl an Lastenrädern aller Art. Meist sind es Kinder, die da einzeln oder im kleineren Gruppenverbund befördert werden. Zunehmend beobachte ich aber auch den Transport größerer Einkäufe und sperriger Güter. Bereits seit einigen Jahren lassen sich Touristen mit der Rikscha durch die Kölner Innenstadt kutschieren, im Sommer legen die Parkpiraten mit ihrem handgefertigten Radiosender-Fahrrad auf der grünen Wiese an. Wer in Köln lebt, und auch mal ohne Auto – und ohne ein  …

  • Nähe und Distanz

    Olga habe ich bei meiner Karnevals-Foto-Safari an Weiberfastnacht getroffen; sie war als Black Swan verkleidet und hat am Aachener Weiher in der Kölner Innenstadt gefeiert. Vor zwei Tagen haben wir uns wiedergetroffen. Diesmal mit mehr Zeit und ohne Verkleidung. Nach dem Abitur ist Olga von Bochum nach Köln gezogen. Das war vor knapp 6 Jahren. Sie wusste erst mal nicht recht, was sie machen möchte. Probehalber hat sie ein bisschen losstudiert, aber dann hat sie sich für ein freiwilliges soziales Jahr beim Roten Kreuz beworben: „Die haben  …

  • Lebendigkeit und Ruhe

    Gerda lebt im Epizentrum des Kölner Studentenlebens. Die Lebendigkeit des Viertels möchte sie nicht missen, aber etwas mehr Ruhe in der eigenen Wohnung hätte sie schon gern. Ruhe, um sich zu konzentrieren, Ruhe zum Malen, zum Lesen – Ungestörtheit eben. „Momentan ist es so, dass ich von meiner Nachbarin alles höre. Also wirklich alles.“  Dass Jung und Alt in der Stadt nah zusammenleben findet Gerda eigentlich schön: „Aber das Mischungsverhältnis muss stimmen.“ Zunehmend hat sie das Gefühl, dass sie unter immer weniger Alten  …

  • Was ich von ihm weiß

    Paris – Köln – Brüssel – Paris; das ist die Reiseroute von Yuhei. 2 Wochen hat er Zeit, und fast 10000 km ist er dafür geflogen: Yuhei lebt in Osaka in Japan, wo er als Architekt arbeitet. Und damit ist auch schon fast alles erzählt, was ich von ihm weiß. Yuhei spricht nur sehr wenig Englisch und ich natürlich überhaupt kein Japanisch. Ihm zu erklären, dass ich gern ein Foto von ihm machen würde – und warum – war gar nicht so leicht. Zu fragen, wie es in Europa ist, wie es ist allein zu reisen, was ihn  …

  • Spaziergang durch den Irrsinn

    Ausgerüstet mit Schuhen, die ich für geeignet hielt und einem Aufnahmeverfahren für Sprach-Memos, das mir komfortabler als ein Zettel zu sein schien, habe ich mich gestern auf meine alljährliche Weiberfastnachts-Wanderung gemacht. Dass die Schuhe nicht ganz so bequem waren wie gewünscht, musste ich mir bei Kilometer 6 allmählich eingestehen. Bei der Streckenhalbzeit also – was ich natürlich in diesem Moment noch nicht wusste. Ungefähr 60 Menschen habe ich auf meinem Spaziergang durch den Irrsinn (sehr viele Leute überall, Alkohol spielt  …

  • Wir müssen draussen bleiben

    Bernd Blömer und Dirk Tillack, Outtake Unterhalten sich zwei; Einer stellt Fragen, Eine antwortet. Im Gespräch geht es um das Kabarett-Programm ‚Wir müssen draussen bleiben‘ von Dirk Tillack und Bernd Blömer, das im Januar Premiere hatte. Also, genau genommen ist es so: die Unterhaltung von Einer und Eine ist fiktiv. Die Eine bin übrigens ich. Den Fragensteller, den armen Tropf, hab ich mir nur ausgedacht. Die Antworten sind aber echt. Eigentlich geht es (mir zumindest)  ja auch nur um die Antworten. Und natürlich geht es um  …

  • Waldgartenvögel

    Hinter unserem Pfälzer Ferienhäuschen liegt ein kleiner, steiler Garten, der nahtlos in den angrenzenden, ebenso steil ansteigenden Wald übergeht. Einzig ein Stück deutsches Kulturgut – ein Maschendrahtzaun – bezeichnet die genaue Grenze zwischen Wald und Garten. Die ansässige Vogelgemeinde weiß von solcherlei menschlicher Markierungssymbolik naturgemäß nichts und fliegt munter hin und her. War die Meise eben noch ein Waldvogel ist sie einen Moment später ein Gartenvogel, was der Meise natürlich herzlich egal sein kann. Nicht  …

  • Die Zeit zerfällt im Schnee

      Ziemlich genau 100 Minuten und ungefähr 6000 Meter liegen zwischen dem ersten und dem letzten Foto dieser kleinen Serie vom gestrigen Gang zum nächstgelegenen Bäcker. Gut, das mit dem nächstgelegen ist nicht ganz korrekt; es gibt auch einen kleinen Laden in Gleisweiler (ca. 600 Einwohner) selbst. Der öffnet in den Wintermonaten allerdings nur zu sehr überschaubaren Zeiten (06:00-11:30), die abzupassen weder ich noch der Mann derzeit im Stande sind. Außerdem gibt es noch eine Bäckerei im benachbarten Frankweiler (knapp 900  …

  • Lesen mit Frau Schmitt

      (M)eine Art Buchbesprechung »Als wir klein waren, haben wir dauernd gewunken. Für Fotos oder der Oma oder einfach so. Nachdem wir erstmal kapiert hatten wie es geht, haben wir es dauernd ausprobiert, auch bei fremden Leuten im Supermarkt. Wir wollten Beachtung und Zuwendung und mit dem Winken bekamen wir das sofort. Jetzt sind wir erwachsen und wollen immer noch Beachtung und Zuwendung, aber wir winken deswegen nicht mehr.« Auch so ein schöner Absatz, den Heidi Schmitt in ihr Buch hineingeschrieben hat. ***   Mit dem  …

  • Aus dem Leben genommen

      Vor einer Woche, am Dia de los Muertos – dem mexikanischen Tag der Toten – ist eine friedliche Prozession durch Köln-Ehrenfeld gezogen und zufällig bin ich in sie hineingeraten. Eine bunt gemischte Gruppe war da leise, aber präsent auf dem Weg: Frauen mit traditionell geschminkten Gesichtern, Musiker, Mexikaner, Deutsche. Manche in kleinen Gruppen, manche für sich allein. Ich stehe eine Weile am Straßenrand und sehe zu, wie der Zug vorüberzieht.  Etwas lässt mich beirrt und berührt innehalten: viele Menschen im Zug  …

  • Radebrechen in Tophane

      Wenn Mehmet Ali sich auf seinem Hocker ein wenig nach vorne beugt, dann kann er das Haus sehen, in dem er zur Welt gekommen ist. Der Hocker steht in der hinteren Ecke seines kleinen Obst- und Gemüseladens, sein Geburtshaus befindet sich schräg gegenüber. Es ist ein mehrgeschossiges Wohnhaus, mit Giebeln und Erkern. Groß, stolz und doch wie nebenbei steht es da, im Herzen von Tophane – bestimmt schon 100 Jahre lang. Seit 50 Jahren verkauft Mehmet Ali in dem kleinen Eckgeschäft Obst und Gemüse. Eigentlich ist es gar kein  …

  • Viel Freundlichkeit

    Abendliches In-den-Bosporus-springen in Üsküdar „Wie ist es denn in Istanbul?“ wurde ich neulich von jemandem gefragt, der noch nie dort war. „Viel Freundlichkeit“ lautete meine Antwort, die mir ohne langes Überlegen aus dem Mund gefallen ist. Das mag sich als Dialog holprig lesen, stimmt aber. Ganz ohne Formalitäten hat offenbar eine Art verbaler Autopilot die Antwort meinem inneren Empfindungsschrank entnommen und ausgegeben, so dass ich selbst überrascht war, sie zu hören. Istanbul zu beschreiben ist nämlich gar nicht so leicht. Je  …

  • Ein Zimmer ohne Wände

      Den Raum anderer betritt man mitunter ohne es recht zu bemerken. Auf einem kleinen Absatz inmitten einer der zahlreichen steilen Treppenstraßen Istanbuls, irgendwo zwischen oben und unten, spricht mich ein Mann aus dem Dunkel heraus an. Er spricht türkisch, und natürlich verstehe ich ihn nicht. Trotzdem weiß ich, dass er mich meint, denn sonst ist niemand da. Ich drehe mich um und begreife, dass ich ein Zimmer ohne Wände betreten habe. Ich stehe quasi schon im Türrahmen, den es natürlich nicht gibt. In Zeichensprache fordert der  …

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