Abendliches In-den-Bosporus-springen in Üsküdar
Ganz ohne Formalitäten hat offenbar eine Art verbaler Autopilot die Antwort meinem inneren Empfindungsschrank entnommen und ausgegeben, so dass ich selbst überrascht war, sie zu hören.
Istanbul zu beschreiben ist nämlich gar nicht so leicht. Je länger ich überlege, desto unmöglicher erscheint mir ein Versuch. So viel wäre zu erwähnen und zu berichten und beinahe alles was Istanbul auszumachen scheint, wäre um einen jeweiligen Gegensatz zu ergänzen, der ebenso wahr und spürbar ist.
Und: gerade drei Mal habe ich diese Stadt inzwischen besucht. Wie gut also kenne ich Istanbul überhaupt, muss ich mich fragen.
Blick von der Galata-Brücke Richtung Goldenes Horn
Aber auch vage Erinnerungen an Streifzüge durch fremdartige Stadtteile, an Nachmittage auf der Fähre oder einen Abend am Bosporus trage ich in mir. Viel Freundlichkeit – davon sind auch diese Erinnerungen geprägt.
Die Freundlichkeit in Istanbul hat viele Gesichter: mal zeigt sie sich mit einem Lächeln, mal mit sich wiegender Melancholie. Mal ist sie neugierig, verspielt oder wohlwollend, mal wirkt sie weise, mal ist sie in Sorge und mal will sie beschützen.
Was mir allerdings nur selten begegnet ist, sind Misstrauen und Feindseligkeit.
Nun kann man einwenden, dass ich es nie mit der Polizei zu tun hatte, oder mit dem religiösem Druck eines alltäglichen Lebens in einer strenggläubigen Gemeinde. Das stimmt. Möglicherweise würde ich dann ein anderes Bild zeichnen.
Abends in der Nähe des Fisch-Marktes in Karaköy
Gezeigt wurden Kurz-Portraits in Wort und Bild von Menschen aus den Partner-Städten Köln und Istanbul. Am Eröffnungsabend kam einer der Besucher zu mir, nachdem er sich eine Weile umgesehen hatte. Es war ein Mann in den Fünfzigern, ganz in schwarz gekleidet und mit kritischem Blick. „Sagen Sie mal, das kann doch nicht sein, dass die alle nett sind!?“ sagte – oder fragte – er mit Blick auf die ausgestellten Fotos und Texte.
Ich war im Kern getroffen, denn was ich gehört habe war dies: „Mannomann, sind Sie naiv!“ Für meine Ohren ein K.O-Urteil.
Dennoch ist es mir gelungen, eine Antwort zu formulieren – konnte der Mann ja nicht ahnen, was seine Bemerkung auslösen würde: ob die alle nett seien, das wüsste ich natürlich auch nicht. Mein Blick auf sie sei aber erst mal nett.
Nun ist das Wort ’nett‘ für viele Menschen mit einem Makel behaftet: was nett ist disqualifiziert sich quasi selbst. Ich kann diese Sicht nicht teilen, aber trotzdem erscheint mir hier das Wort ‚freundlich‘ richtiger. Mein Blick auf die Menschen, die ich für diesen Blog anspreche ist zunächst einmal freundlich. (In den meisten Fällen bleibt er es auch.)
Viel Freundlichkeit. Mein verbaler Autopilot hat die richtige Antwort gewählt. Die Menschen in Istanbul tragen viel Freundlichkeit in sich. Und diese Menschen machen Istanbul zu einem freundlichen Ort.
Die türkische Regierung sieht die Sache offenbar ganz anders. Deswegen zeigen rund um Taksim an unterschiedlichen Standorten zahlreiche Polizisten Präsenz – wohlgemerkt ohne besonderen Anlass. Teilweise sind sie schwer bewaffnet und verschanzt hinter Schutzschilden. Hie und da steht auch schon mal ein Wasserwerfer parat.
Tee in Kabataş auf der europäischen Seite, mit Blick nach Üsküdar auf der asiatischen Seite
Die Dolmabahçe caddesi nach Beşiktaş
Abends in Kadiköy auf der asiatischen Seite
Sonntag Abend am Fähr-Anleger in Eminönü
Besonders das mit den schwer bewaffneten Polizisten erinnert mich daran, damals in 3 Wochen Nordirland die Gleichzeitigkeit des ganz normalen Alltags der Menschen einerseits und gewaltsamer Auseinandersetzungen zwischen IRA und Sin Fein oder den jeweiligen Anhängern andererseits erstaunlich schnell erstaunlich selbstverständlich genommen zu haben. Vielleicht ähnelt dies dem, was in Istanbul zu spüren ist?!??
Gerade das Foto mit der aus der Mauer schaukelnden Figur unterstreicht meine Erinnerung an solches Empfinden.
Danke für ein so rasches Wiederschauen und Wiederlesen!
Liebe Smilla,
wie habe ich Deine Bilder vermisst. Deine Sicht auf die Dinge und vor allem Deine ganz eigene Art zu schreiben, die soviel in mir zum klingen bringt.
Mir gefällt ganz besonders das dritte Bild von oben. Keine Ahnung warum. Muss ich auch nicht.
Die Katze so im Augenblick erwischt – im vor und zurück der Möglichkeiten- und diese Tee-Bilder. Wunderbar.
Ich grüße Dich herzlich!
Oona
Am liebsten würde ich mich sofort in den nächsten Flieger setzen.
Viele Grüße
Astrid
Liebe Oona, vielen Dank! Mir fehlt mein Blog selbst, ich will versuchen, das alles besser miteinander zu verbinden, mal sehen ob das klappt…
Schön, dass es hier wieder mal Lebenszeichen von Dir gibt, liebe Smilla! Und interessant was Du über Istanbul und Deinen Blick auf die Stadt und ihre Menschen berichtest. Ich glaube, die Stadt hat so viele unterschiedliche Facetten, dass sich der eigene Blick auf die Stadt bei jedem erneuten Besuch etwas verändert.
Das mit dem "nett" ist mir auch schon häufiger begegnet. Ich benutze das Wort trotzdem gern – und lade es, falls jemand nicht so recht verstehen will, was ich meine, mit der Bedeutung und dem Gefühl auf. Auf dass "nett" wieder ein Kompliment wird und nicht mehr als Abwertung wahrgenommen wird.
Wieder mal sehr schöne Fotos. Damit hast Du mir wohl mein nächstes Urlaubsziel gerettet.
"ob die alle nett seien, das wüsste ich natürlich auch nicht. Mein Blick auf sie sei aber erst mal nett. " – großes kompliment!
Istanbul ist wunderbar und einzigartig, Deine Bilder geben dies auch wieder.
Danke schön dafür 🙂
Hallo Smilla,
das sind ja wunderbare Bilder aus Istanbul. Die wecken erinnerungen.
Wenn du das nächste Mal eine Ausstellung in Köln hast, poste doch Einzelheiten – ich hätte deine Bilder gerne gesehen.
Wenn ich am Herkules- Hochhaus an der Ampel stehe, denke ich immer an dein Projekt. Und an Georg, der darin wohnte und dessen Telefonnummer ich dir einmal gegeben hatte. Er ist im Sommer gestorben.
Und überhaupt, in was für einer Stadt leben wir…..
Liebe Grüße
Christine
Wundervolle Fotos! Merci!