„Hoffentlich bin ich die Schönste“

„Ich bin im sechsundachtzigsten. Seit 61 Jahren wohne ich hier im Viertel, da vorne,“ sagt Frau B. und nickt die Strasse entlang. Frau B., die ich so nenne, weil ich nicht nach ihrem Namen gefragt habe, erzählt mir ein wenig aus ihrem Leben: „Ich hab 66 Jahre lang am Bügelbrett gearbeitet. In einer Reinigung. Nun ist der Rücken krumm. Mit 15 hab ich angefangen und ich hab noch mit 81 gearbeitet.“

„Ich hab immer Karneval gefeiert … früher in den Karnevalsgesellschaften … mit meinem Mann. Sieht man doch!“ sagt sie und deutet auf ihre ganzen Abzeichen am Revers. Wir reden noch ein bisschen miteinander und dann verabschieden wir uns: Frau B. wartet auf den Veedelszug, ich sage, dass ich weiter fotografieren gehe. „Machen Sie das! Viel Glück!“
Und dann: „Hoffentlich bin ich die Schönste!“ ruft sie mir nach und lacht dabei, und ich lache auch. Ein Satz wie ein Geschenk.

Bevor ich Frau B. treffe beginne ich meinen diesjährigen Spaziergang durch die Kölner Weiberfastnacht am Chlodwigplatz. Dort grusele ich mich ein wenig beim musikalischen Rumms-Bumms-Bühnenprogramm und ziehe rasch weiter. Hinter der Severinsstrasse treffe ich auf Klaus aus Mühlheim, der seine Arbeitskollegen im Nippeser Getümmel verloren hat und sich nun in der Südstadt neu ausrichtet.

Sogar die Queen ist im Kölner Karneval zugegen und wird standesgemäß in einem fort fotografiert.

Diese weibliche Robin Hood ist in der Südstadt groß geworden; leider habe ich die genauen Zahlen vergessen, aber es sind deutlich viele Jahrzehnte Leben im Veedel. (Kölsch für Viertel)

Seit 41 Jahren ein Paar: Wohnzimmerlampen mit Trömmelchen.

Die jecken Schwestern aus Bottenbroich. Ihre geringelten Mäntel sind allesamt selbst gestrickt oder gehäkelt.

Im belgischen Viertel treffe ich zwei Außenduschen …

… und eine gespenstische Braut.

Kurz danach begegnen mir zwei echte Bräute, die sozusagen Einjähriges feiern: Vor einem Jahr an Weiberfastnacht haben sie ihr Aufgebot bestellt und im Sommer dann geheiratet.

Jedes Jahr etwas ganz besonderes ist das Gruppenkostüm dieser Freundinnen, die hier im Blog schon als Zebras, als Marilyns von und mit Andy Warhol, als Wanderzirkus und als Fahrstuhl vertreten sind. Dieses Jahr also die Vögel und Tippi Hedren.

Meine Wanderung – 15 Asphaltkilometer lang – endet am Eigelstein, wo der Straßenkarneval mit Musik und Tanz in Herzlichkeit sein Versprechen auf schönste Weise einlöst.

22.02.2020

11 Comments

  • Tine sagt:

    So schön. Danke.

  • Anna Mantei sagt:

    Danke für deinen Blick auf eine Jahreszeit, die mir ohne deine Bilder und Worte wohl völlig suspekt geblieben wäre. Diesmal besonders gefallen mir: die weibliche Robin Hood, die Wohnzimmerlampen mit Trömmelchen, die Frau mit bunter Hose, die mit einem Fuß im Karneval sitzt, die zwei Außenduschen, die beiden Bräute und die Schenkerin des Post-Titels.

  • Earny from Earncastle sagt:

    Hach. Wie jedes Jahr ganz wunderbar!
    Danke dir für die tollen Fotos!

  • Simone sagt:

    Ich mag ganz besonders die Vögel mit Tippi Hedren, das aufgeblasene Schwein auf dem Rad, die schönste Frau B., die Bräute und meine Favoriten sind die Außenduschen weil außen duschen so toll ist.
    Schön war das, vielen Dank.

  • Andrea Käsch sagt:

    Liebe Smilla,
    wir sind immer noch schockverliebt in „Deinen Blick“. In das was du siehst. Und das was du damit erzählst. Danke !!
    Ganz liebe Grüße und Alaaf!
    Andrea und Sven

  • Astridka sagt:

    Tolle Impressionen! Vielleicht sollte ich nächstes Jahr mal mit dir gehen, ich bin immer so schüchtern und fotografiere dann nur die Verkleideten von hinten…
    Kölle Alaaf!
    Astrid

  • Dirk Tillack sagt:

    Liebe Smilla,
    ich war dieses Jahr gar nicht in der Stadt um Karneval zu feiern. Aber dein Blick auf die Menschen , die das von Herzen tun, ist wunderbar. Auf das ich nächstes Jahr den eine oder anderen Jecken und die ein oder andere Karnevals Prinzessin sehen werde.
    Herzlich Dirk

  • Paula sagt:

    Liebe Smilla,

    nach einem üblen Tag sitze ich jetzt vor diesem Beitrag und lächle. Und lächle noch ein bisschen mehr. Danke für!

    Paula

  • Johanna sagt:

    Es ist leider so lang her, dass ich in Köln Karneval gefeiert habe! Mit der badischen Fastnacht bin ich aufgewachsen und lebe nun schon so lange in der Hamburger Diaspora, dass mir der Begriff und die Bedeutung von Karneval/Fastnacht schon fast selbst abhanden gekommen sind. Falls mal wieder ein Hamburger nix davon begreifen kann: Dem werde ich diese Bilder zeigen. Dann sollte ja wohl alles klar sein. Wunder-, wunderbar.

  • Heinrich sagt:

    Lieb Smilla,
    seit 31 Jahren lebe ich, Öcher, der 28 Jahre in Köln, im Agnesviertel nahe dem Eigelstein lebte, in Berlin.
    Deine Fotos sind so wundervoll, weil sie vermitteln, dass der rheinische Straßenkarneval Lust am Leben ist, Lust am Leben mit den all den anderen, die das auch empfinden.
    Berliner können das einfach nit verstehen. Aber sie beginnen, es doch zu ahnen, wenn ich ihnen Deine Fotos zeige.
    Sehr sehr schöne Fotos!

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