Wer keine Wohnung hat, braucht trotzdem einen Schrank

 

Es ist 7 Uhr morgens. Ein Mann läuft die Strasse entlang und biegt in den Weg neben dem Park ein. Er trägt zwei Bündel; eins im Arm, eins über der Schulter. Zwischen den Büschen links und den parkenden Autos rechts windet sich ein schmaler Bürgersteig mit absurder Kurvenführung. Ein stadtplanerisches Mißgeschick, kaum jemand nutzt ihn. Der Mann mit den zwei Bündeln schon. Er folgt ihm dreifach um seine sinnlosen Ecken und stoppt an einem Busch. Dort kraxelt er eine Weile herum. Für einen Moment ist er nicht mehr zu sehen.
Dann nimmt der Mann den gleichen Weg wieder zurück. Diesmal ohne Bündel. Zurück auf der großen Strasse schneuzt er sich auf den Boden, wischt die Hand an der Jacke ab und geht davon.

Einige Zeit später kommt ein anderer Mann. Er trägt nur ein Bündel: es ist ein kleiner blauer Plastiksack. Der Mann steuert ein Gebüsch an, das wenige Meter vom ersten Bündel-Busch entfernt liegt. Er wählt jedoch den Weg von der anderen Seite, über die Wiese. Es scheint ihm weniger wichtig zu sein, ob jemand ihm zusieht. Routiniert verstaut er den blauen Sack unter ein paar Ästen. Dann geht er Richtung Supermarkt. Dort steht er jeden Tag mit seinem verbeulten Pappbecher am Eingang.

Gegen Mittag erscheint ein Fußtrupp städtischer Müllmänner. Sie durchkämmen regel­mäßig die Grünanlage.  Besonders eilig haben sie es nicht. An der Mülltonne machen sie eine Rauchpause. Sie reden, aber es scheint nicht wichtig zu sein. Einer geht über die Wiese zu dem Gebüsch, unter dem der blaue Sack liegt. Er holt ihn hervor und trägt ihn zu den blauen Säcken, die die Müllmänner auf ihrem Wagen mit sich herumfahren. Der Sack aus dem Gebüsch ist kleiner und kompakter als die anderen Säcke, und er ist aus einem anderen Material. Vor allem aber hat er eine andere Bedeutung.

Die Müllmänner beenden ihre Rauchpause und ziehen samt Wagen weiter. Die beiden Bündel des ersten Mannes liegen noch da.

11.03.2014

9 Comments

  • Was für eine Geschichte.. HerzSchmerzmitFreude.
    Einfach wunderbar hier!

  • Oona sagt:

    Was wäre es für eine persönliche Katastrophe, wären sie abhanden gekommen.

  • Anna sagt:

    Warum ist eigentlich das Mitnehmen von Lebensmitteln, die ein Supermarkt wegschmeißt, weil er sie nicht verkauft hat, strafbar, während es – zumal wenn man als Müllmann erkennbar ist – nicht strafbar ist, einem Wohnungslosen seinen Schrank samt Inhalt wegzunehmen?!?

  • Oona sagt:

    Hm? Hab ich wohl was falsch verstanden.

  • Anna sagt:

    Oder ich??

  • smilla sagt:

    ? Nun kann ich euch beiden nicht folgen? Wieso falsch verstanden. ich denke auch, es wäre eine persönliche Katastrophe, wären sie abhanden gekommen. Als ich nachgucken gegangen bin, ob noch alles da ist, kam ich mir vor, wie ein Eindringling.
    Die Supermarktfrage ist üverraschend und berechtigt; allerdings ist die Schlußfolgerung, es müsse dann auch strafbar sein, wenn der Müllmann den Schrank eines Wohnungslosen mitnimmt, aus meiner Sicht in die falsche Richtung gedacht. Das 'containern' sollte nicht illegal sein, bzw, sie Lebensmittel sollten gar nicht erst in den Container wandern. Aber das st eine andere Sache.

    Nun fällt mir erst recht dauernd auf, wie viele Hunde (und auch Männer) an die Büsche pinkeln. Und dann denke ich immer an die Bündel.

  • Oona sagt:

    Hm… Also ich hatte verstanden, dass die ersten beide Bündel einem Obdachlosem gehören und diese (!) weiter im Gebüsch verblieben sind. Darum meine Aussage zur Katastrophe.
    Als ich nachfolgenden Kommentar las, war ich mir unsicher, ob sie nicht den Müll haben liegen lass und das Bündel des Menschen vergeschmissen.
    Deswegen: Vielleicht habe ich mich geirrt, was die Inhaber welcher Bündel betrifft.
    Wo ich sonst mich nicht kurz fassen kann, hätte ich mich klarer ausdrücken können. Sorry.

  • Anna sagt:

    Da hast Du natürlich recht, dass es am besten wäre, die Lebensmittel würden gar nicht erst in den Container wandern!

  • Anonym sagt:

    Das wirklich Kuriose ist doch, dass eine prall gefüllte Brieftasche nicht entsorgt würde, sie würde vielmehr ins Fundbüro gebracht. Warum man das mit den Kleidern und anderen Habseligkeiten des Obdachlosen nicht so macht (oder etwa doch?) ist mir ein Rätsel.

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