Mit Frau E. ins Café

„So alt zu werden hat auch seine Nachteile. Alle sterben vor Ihnen, und Sie sind dann alleine.“ Das sagt Frau E. die ich nach langer Zeit wiedertreffe. Im Oktober 2009 habe ich sie, fast an der gleichen Stelle, schon einmal fotografiert. Seitdem habe ich oft an Frau E. gedacht, und mich gefragt wie es ihr wohl gehen mag. Als ich sie nun wiedersehe ist sie auf dem Weg zu einem Geburtstag, und sie hat nicht viel Zeit. Aber wir verabreden, dass ich ihr die Fotos von diesem und vom letzten Mal bringe, und wenige Tage später besuche ich sie dann bei ihr zuhause. Sie freut sich über die Fotos, und fühlt sich gut ge­troffen.
„Becoming that old carries it’s disadvantages, as well. Everyone dies earlier than you, and finally you find yourself alone.“ Mrs. E says, who I meet again after a long while. In october 2009 I took a photo of her yet, almost at the same place. Since then every once in a while I was thinking of her, wondering how she is. The moment I finally meet her again she’s in kind of a hurry, because she’s on her way to a birthday-celebration. But we make an appointment, and a few days later I visit her at home, bringing all the photos I took of her with me. She likes the pictures, and she feels portrayed well.

„Was einen an anderen stört, das trägt man doch sehr oft auch in sich selbst.“ sagt Frau E. „Ich habe das lernen müssen. Mich zu fragen, was ist mein Anteil an der Geschichte, was habe ich gemacht, oder was kann ich tun. Nicht immer nur anderen die Schuld geben. Das ist einfach. Andere zu beschuldigen. Ja, und man muss sich auch in Nachsicht üben. Das lernen Sie mit dem Alter.“ 
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„What you dislike about others you can find in your own person quite often.“ Mrs E. says. „I had to learn this lesson. To ask myself what is my part of the story, what did I do, or what can I do? Not just to blame somebody else. That’s simple; just to blame others. Becoming old you’re learning that.“
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Frau E. ist gerne unterwegs und draußen. Sie geht sehr viel spazieren: „…auch nachts. Dann sagen manchmal Menschen zu mir: ‚Bist du verrückt, nachts alleine umher zu laufen.‘ Aber ich lasse mir das nicht nehmen. Ich finde es einfach herrlich.“ Sehr gerne geht Frau E. ins Café Franck, und begeistert erzählt sie mir, wie nett die Besitzer sind. Ich kann das nur bestätigen, und schließlich machen wir uns gemeinsam auf den Weg dorthin. Frau E. hat ihren Stammplatz, und weil schönes Wetter ist und alle anderen draußen sitzen, ist er sogar frei. „Ich habe meinen 95. Ge­burtstag hier gefeiert. Den 100. werde ich auch hier feiern.“ sagt Frau E. und lädt mich schon mal ein. Mit amüsiertem Spott deutet Frau E. die Bemühungen ihres Arztes: „Er will mich jetzt unbedingt auf 100 bringen. Gibt mir immer Vitamin­spritzen und so. Ich frage ihn dann, warum. Damit ich gesund sterbe?“
Frau E. hat ein bewegtes Leben hinter sich, und in einer Mischung aus Wieder­gabe und Reflektion erzählt sie ein wenig davon. „Früher habe ich nie viel geredet. Ich habe viel geschwiegen. Manchmal denke ich, ich hole das Reden heute nach.“
Mrs. E loves to be out and outside. She takes strolls very often: „…even at night-time. People sometimes say to me: ‚Are you crazy, to walk around alone at night?‘ But I would never relinquish. I love it so much.“Mrs E. also loves to have a coffee at Café Franck, and she enthusiastically tells me about the nice owner-couple. I have to agree expressly, and finally we set out there together. Mrs E. has her personal usual seat, and for the reason that it’s quite nice weather, and all the others are sitting outside, we actually find it empty. „I’ve celebrated my 95th birthday here, and I will also celebrate my 100th. birthday here.“ Mrs E. says, inviting me once already. Mockingly amused she tells me about the endeavors of her doctor: „He now is definitely going for my 100 birthday. He always injects me with vitamins and stuff like that. I keep asking him, why. That I’ll die healthy?“
Mrs. E. has had a full life, and in a mixture of relating and reflecting she tells a bit about it: „Formerly I didn’t talk very much. I’ve kept quiet. Sometimes I think I catch up on talking nowadays.“

Von ihrem Stammplatz aus hat Frau E. das Café gut im Blick. Einzig die Kaffee­maschine stört in ihren Augen die Idylle: „Aber gut, der Kaffee ist lecker.“ Am Wochenende hat das Café Franck auch nachts geöffnet: „Ich war auch schon unten in der ehemaligen Backstube, wo getanzt wird. Also, zum tanzen ist es ja viel zu eng. Aber darum geht es ja auch gar nicht.“
From her favourite seat Mrs. E has a good overwiew of the Café. Only the coffee-machine is disturbing the perfect idyll in her view: „But, well, the coffee is great.“ At weekend Café Franck is open at night-time, as well: „I’ve also been downstairs yet, at the old bakehouse, where the dancefloor is. It actually isn’t enough space to dance, but that isn’t the issue anyway.“

33 Comments

  • Nicki sagt:

    wundervoll! Ich werde beim nächsten Besuch im Café Franck meine Augen nach Frau E. offen halten. Es ist auch mein Lieblingscafé! 🙂

  • Ja, irgendwie sind solche Menschen ein Vorbild. Wenn das Alter auch so sinnerfüllt gelebt wird, ist das schön und beruhigt. Meine älteste Klientin wird dieses Jahr 90 und wenn sie nicht anruft, ertappe ich mich dabei, dass ich mir Sorgen um sie mache und denke, vielleicht ist sie nicht mehr. Dann kommt sie wieder und dreht sich auf der Liege so schnell um, wie sonst keiner, auch nicht die Jungen, einfach unglaublich. Ich sage ihr immer wieder, was sie so drauf hat. Einfach schön, dass solche Menschen unter uns sind…

  • Ein wirklich schöner Bericht.

  • Anna sagt:

    Wenn Du also zu Frau E.'s 100. Geburtstag gehst, gratuliere ihr bitte auch in meinem Namen herzlich! Sie rührt mich gerade sehr an! Und ich glaube, in dem Café, das Ihr zusammen besucht habt, würde ich mich auch wohlfühlen!

  • Roland sagt:

    Es ist schon immer wieder erstaunlich, welche Geschichten Du erlebst 🙂

  • Steffi sagt:

    Ich sitze hier und muss schmunzeln … die Dame sehe ich fast täglich . Sie strahlt so eine ganz eigene Eleganz und Ruhe aus. Ich hätte nicht gedacht, dass sie auf die 100 zugeht, wow!
    Danke und lieben Gruß Steffi

  • Also wir hier sind jetzt schon Frau E. Fans und fast zu Tränen gerührt.
    So eine niedliche und schöne Frau!

    Liebe Grüße,
    FP

  • smilla sagt:

    Schön, dass Frau E, soviel Anklang findet, ich werde es ihr berichten

    Anna, mach ich 🙂 dauert aber noch…

    Nicky, ja, du hast doch auch mal einen post geschrieben über das cafe, nicht wahr? ist schon ne weile her, aber ich erinner mich.

    elisabeth; was machst du denn beruflich? Frau E. ist übrigens auch echt flott unterwegs mit ihrem Rollator, war ich auch überrascht.

  • Eve sagt:

    Was für eine bewegende Frau. Ich finde es klasse, dass Du Dir die Mühe machst, auch hinter die Fassade zu blicken und darüber berichtest.
    Je älter ich werde, desto öfter denke ich darüber nach, was ältere Menschen, denen man begegnet, wohl alles erlebt haben mögen, und dass auch sie einst jung waren, manche vielleicht voller Glück, manche voller Flausen 😉 und ich spreche so oft es geht mit älteren Menschen, weil ich es spaned finde, was sie erlebt haben und zu sagen haben. Man kann doch sehr viel daraus lernen.

    Schön, dass Du ein offenes Ohr dafür hast.

    Eine sonnige Woche wünscht Dir
    Eve mit herzlichen Grüßen an Frau E.

  • Eine schöne Frau und ein Bericht, der mich neugierig macht mehr über die sie zu erfahren……

    Grüße aus dem Münsterland
    Anna

  • Wow, die Dame ist eine ganz besondere Frau und ein riesen Vorbild. Elegant, gepflegt, modisch, aber das Wichtigste ist ihre tolle Einstellung zum Leben und sich selbst.

    So alt zu werden wäre mein großer Wunsch, danke für diesen Bericht.

    alles liebe Bettina

  • Liisa sagt:

    schon zweimal hab ich jetzt zu einem Kommentar angesetzt aber im Grunde ist alles schon von den anderen gesagt. Danke Dir für ein weiteres wunderbares Porträt in Bild und Text.

  • Anonym sagt:

    Herrjeh! Das ist doch sichtbar gewordene Liebe! Soviel gelebtes Leben! Und soooo viel Schönheit! Leben pur! Finde ich. Und Weissheit! Und wunderschön, dass Frau E. einen Lieblingsplatz im Cafe hat. Das wünsche ich jedem Menschen: Einen Lieblingsplatz und damit Freude am Leben und Genuss! Danke für diese Fotos und die ehrliche und berührende Korrektur zum ersten Blogeintrag. Danke! eva

  • smilla sagt:

    Liisa, wie schön dass du trotzdem noch geschrieben hast 🙂
    (du weisst ja, wie es ist, Kommentare erfreuen 🙂 )

    eve, ja, jung war Grau E auch, und schön. Ich habe Fotos von ihr gesehen ('Aufnahmen')
    hätte ich stundenlang angucken können.

    eva, hab ich mir ehrlich das hirn zermartert 🙂

  • Ich fühle mich an meine Oma erinnert (schon vor zehn jahren gestorben – würde nächstes jahr 100): die sagte auch immer, dass man gar nichts davon hat so alt zu werden, weil eben alle um einen herum sterben. das ist traurig.
    sie sieht wirklich fein aus, deine frau e.
    mit der würd ich auch gern auf diesen gemütlich aussehenden sesseln sitzen und was erzählt bekommen.
    liebe grüße von karlsruhe

  • Anonym sagt:

    Wow! Eine tolle Frau!

  • Sommerleben sagt:

    Ein sehr schöner Bericht. Einfach toll, was für unterschiedliche Leute Du triffst. Das muss eine wirkliche Bereicherung sein.

    Mach´ weiter so!

    Liebe Grüße aus dem Hause Sommerleben

  • szuszu Khan ;-) sagt:

    Frau E. meint sie hätte früher viel geschwiegen und jetzt hole sie das reden nach.

    Nun bin schon gespannt , wie das mit mir sein wird – wenn ich noch mehr rede , … eh das geht gar nicht und schweigen möchte ich auch nicht denn das würde einen Rückzug bedeuten und einer der im früheren Leben Dschingis Khan gewesen war , zieht sich nie zurück 😉

  • beautyjagd sagt:

    Frau sieht sehr elegant aus, was mich darin bestätigt, dass Eleganz viel mit der inneren Einstellung zusammenhängt. Besonders die gestreifte Tasche hat es mir angetan.
    Und die Persönlichkeit natürlich sowieso, ins Café Franck gehen hält bene jung, unten tanzen sowieso 😉

  • Anonym sagt:

    Es ist eben einfach gut, wenn Menschen auf sich achten, egal wie alt oder jung. Und diese Dame achtet auf sich – und, liebe smilla, sie strahlt eine Güte aus!!!!! Auch wenn man nichts über sie weiß, weiß man doch alles, vergleichbar mit einem neugeborenen Menschenkind – wenn überhaupt etwas vergleichbar ist auf dieser Welt. – Es tut einfach gut, deshalb einmal wieder DANKE und herzliche Grüße Maria

  • smilla sagt:

    szuszu: dschingis khan?

    juliane, ja, ich hab das auch schon manchmal von älteren Menschen gehört, und ich stelle es mir persönlich auch echt hart vor, wenn man 'übrigbleibt' während menschen mit denen man gelebt hat, die man vielleicht geliebt hat, vor einem sterben. Sehr sehr schwierig…

    Maria, Güte, ja, das ist wohl wahr..und irgendwie eine totale Entspanntheit nach soviel Leben. Und einfach wunderschön.

    Sommerleben, ja, das ist es auch, eine Bereicherung. Unglaublich immer wieder, was man so erfährt, kennenlernt, versteht, wofür man sich plötzlich interessiert, weil es einem durch einen Menschen auf einmal näher gebracht wird. Ja, eine Bereicherung auf jeden fall.

  • carmen sagt:

    ich will auch mal wieder ein kleines kurzes »danke« sagen, für all die schönen lebensgeschichten, die du hier immer schreibst, liebe smilla.
    danke für die tägliche portion schmunzeln, die ich hier jeden morgen schlürfen darf und die mir zeigt, wie viele wundervolle und gute menschen es doch gibt.

    viele grüße an frau e., sie ist eine sehr sympathische und bewundernswerte dame. ich wünsche ihr viele liebe freunde, die sie trotz ihres alters nicht einsam werden lassen.

  • smilla sagt:

    carmen: danke fürs danke ( ganz so täglich ist es ja grad leider nicht…)

  • What a lovely and elegant lady!

  • carmen sagt:

    (naja, fast täglich. ganz täglich schaffe ich es ja auch nicht, hier rein zu gucken.) 😉

  • Oona sagt:

    Ganz, ganz schön dieser Bericht Deiner Begegnung mit dieser Dame. Schöne Bilder. Gerne hätte ich hier noch mehr gesehen und ich hoffe, sie hat rauschende Geburtstagsfeiern :O)
    Welche ein Glück, wenn man im Alter nicht verbittert. Gerade, wenn alles um einen herum vo einem stirbt und kaum noch jemand bleibt, der eine vielleicht das Lebenlang begleitet hat. Ich denke da nicht unbedingt an Ehemänner/Ehefrauen. Sondern an Verwandtschaft, Geschwister und ich denke an Freundinnen und Freunde. Die eigenen Kinder, die vor einem sterben, was in jedem Alter ein ganz großer Schmerz ist.

    Das Cafe erscheint mir sehr gemütlich! UND so anders als diese (auch gebrauchten) "Omi-Cafes".
    Wahrscheinlich gibt es neben gutem Kaffee auch guten Kuchen??

    Gestern sah ich eine Frau an der Bushaltestelle und ich musste an Dich und Deinen Blog denken. Das wäre eine Person nach Deinem Interesse.

    Danke für diese schöne Geschichte und die sehr hübschen Bilder von Frau E.

    Grüße
    Oona

  • smilla sagt:

    Oona, was meinst du denn mit "gebrauchten Oma-Cafes"? Das Cafe Franck ist eine echte Perle, und wird sehr liebevoll geführt, und der Kuchen ist wie du vermutest; sehr gut 🙂
    (Die Frau an der Bushaltestelle, die macht mich jetzt natürlich neugierig.)

  • Oona sagt:

    Ich will damit sagen, das es eben in den Citys viele diese "In-Cafes" gibt, die von jungen Menschen oder jungen Familien geflutet werden. Studenten und so.
    Das aber eben auch diese typischen Cafes weiterhin gebraucht werden, wo ältere Menschen sich treffen können und ihre Ruhe haben. Um den köstlichen Kuchen zu verspeisen und einfachen Bohnenkaffee zu trinken. Manchmal gehe ich da rein, weil ich es interessant finde was da so geschnackt wird.

    Schade, das ich gerade keine Kamera zur Hand hatte, dann hätte ich die Frau mittleren Alters für Dich fotografiert. Sie hatte eine interessante Hochsteckfrisur, eine außergewöhnliche größere Tasche dabei, Schuhe mit diesen Absätzen, die man eher in die 40 iger Jahre gepackt hätte und einen fliederfarbenden Mantel mit einem ungewöhlichen Schnitt. Zu rötlichen (wohl langen) Haaren.
    Sie strahlte innere Haltung und Eleganz aus. Aber ich habe sie nur ganz kurz gesehen als meine Straßenbahn an der Haltestelle gegenüber ihrer hielt.
    Ich bin viel in dem Viertel unterwegs und bisher habe ich sie noch nie gesehen.

    Meine kleine Canon ist schon lange kaputt, aber zum Urlaub habe ich mir nun endlich eine neue Kleine gekauft, die ich nun mit mir herumtrage. Die "Große" ist habe ich Alltags nicht in der Tasche.
    Falls ich die Frau noch einmal sehen sollte, dann wird sie fotografiert :O) Versprochen.

    Lieben Gruß
    Oona

  • smilla sagt:

    OOna, das ist interessant was du da schreibst, denn das Cafe Franck ist ein altes Cafe, mit eigener Tradition, das vor ein paar Jahren neu übernommen wurde, Und zwar von eben jenem Betreiber-Paar, die es mit soviel Libe und Sorgfalt modernisert haben, ohne die seele rauszuräumen oder zu verraten. Und gleichzeitig ohne sich auf althergebrachtem auszuruhen, und 'Mängel' mit Nostalgie zu entschuldigen. Das haben die wirklich gut gemacht, was sich eben auch daan zeigt, dass auch 'ehemalige' Stammgäste zu den neuen Stammgäasten gehören. Der Vermieter gat wohl aus einer ercht großen Bewerberschar sorgfältig ausgewählt ( und mit seiner Entscheidung den richtigen Riecher beweisen)
    Ich war übrigens gerade kurz in Bremen, aber in der wenigen freien Zeit die ich hatte hab ich mich für privates entschieden, und keine Menschen fotografiert…mmhh, schade auch irgendwie…

  • Oona sagt:

    Frau E. erscheint mir auch aufgeschlossen für Neues :O)

  • Liza sagt:

    Was für ein cooler blog und was für ein wunderschöner blogpost. Eine ganz tolle Idee, finde ich und man lernt soviel über andere Menschen, an denen man normalerweise einfach vorbeigehen würde…

  • Klasse!
    Und was fuer eine chice Dame!:)

    herzlich Conny

  • Anna sagt:

    Gerade heute einfach nochmals einen herzlichen Gruß an dieser Stelle mit guten Gedanken an Frau E.!

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