Es heißt ja immer leicht verächtlich das Internet sei voll von Katzen. Ich weiß nicht welches – meins jedenfalls nicht. Das Internet in dem ich unterwegs bin, ist, so erscheint es mir in diesem frisch angebrochenen, bereits vielfach beschädigten Jahr, bedauerlich voll von schlechten Nachrichten, Niedertracht und erschütternder Rechthaberei.
An manchen Tagen fühle ich mich müde von all den grausamen, durch Menschen verursachten (oder nicht durch sie verhinderten) Katastrophen und dem Hass. Dem Hass, der Grausamkeiten ermöglicht, dem Hass, der sich als Reaktion darauf formiert und dem verbalen Hass, der gedanklicher Notdurft gleichkommt (ich lese fahrlässigerweise Kommentarspalten). Ich werde müde von der Niedertracht, vom grassierenden Unwillen auch nur einen ausführlichen Moment lang innezuhalten, bevor man der Welt seine quadratisch-gepresste Meinung in oftmals gewalttätigen Worten antut. Oder bevor man das Streichholz oder gar eine Handgranate bemüht.
Philosophie sei „die Kunst, Unrecht zu haben“ wird der Philosoph Hans-Georg Gadamer im Editorial des aktuellen Philosophie Magazins zitiert. Etwas anders formuliert er es im Gespräch mit Rüdiger Safranski: philosophieren sei die Fortsetzung des Zweifels mit anderen Mitteln. (bei 12:36)
Das Innehalten und das Zweifeln scheinen mir wenig populär in diesen Tagen. Schnell dahingelärmte Antworten hingegen schon.
Und da fallen mir die Katzen ein. Mir selbst hilft beim Innehalten ganz gewiss die Katze. Ich gucke ihr beim Sein zu und stelle ein ums andere Mal fest, dass sie nicht sonderlich viel tut. Dabei lässt sich prima innehalten. Ich frage mich – ganz nach persönlicher Verfassung – mal dies, mal das: ist der Katze nicht langweilig? Wozu all die Knochen und Muskeln, wenn sie doch nur herumliegt? Was fängt sie an mit all den Erkenntnissen, die sie bei ihren hochkonzentrierten Erkundungen aller unverschlossenen Schränke, Schubladen und der umliegenden Höfe gewinnt? Warum eigentlich bin ich nicht selbst auch eine Katze? Was mag nur in ihr vorgehen, frage ich mich und entschuldige ihre unerschütterliche Katzenroutine mit den Worten: Sie weiß ja nichts von Zeit und Geld.
Die Katze ist meine Mahnung, meine Erinnerung daran, mich immer wieder zu fragen, ob, warum und wann Tun und Haben wirklich besser ist als Sein.
Diese katzenverursachten Gedanken und Fragen mögen sich in der Herleitung etwas schlicht lesen. Ich kann aber versichern, dass ich mir wieder und wieder den Kopf auch um zentrale Fragen des Lebens und des aktuellen Zeitgeschehens zerbreche, bloß weil die Katze guckt, wie sie guckt.
Was die Katze wohl sieht, wenn sie mich beobachtet? Möglicherweise einen ihrer Adjudanten, wie Kai Strittmatter es in seinem Text „Die Könige des Bosporus“ beschreibt, der die Istanbuler Katzen zum Thema hat. In Istanbul gehören die Katzen zum Straßenbild wie in Indien die Kühe. Die Menschen füttern und versorgen sie; auf Bordsteinen, in Hauseingängen, auf Treppen und in Winkeln aller Art finden sich Teller, Näpfe und Schalen für Futter. An jeder Ecke gibt es Tierfuttergeschäfte und allerorten aufgestellte Katzenhäuschen ermöglichen ihnen den Rückzug (vor allem in Beyoğlu und Cihangir). Istanbul und die Katzen sind ein Phänomen.
„Man muss beobachten, was die Katzen mit den Menschen anstellen.“ schreibt Andreas Ernst in der NZZ und kommt zu dem Schluss: „Die Katzen beruhigen die Menschen in Istanbul. Möglicherweise sind sie der Grund dafür, dass einem in dieser hektischen Metropole so viel Sanftheit begegnet.“
In diesem Sinne bin ich der Ansicht, ein paar mehr Katzen dürften auch dem Internet nicht schaden.
Kleine Reminiszenz an das alte Spiel aus der Sesamstrasse: Eins von diesen Dingen gehört nicht hierher. Wobei …
KEDI – Trailer 1 from Termite Films on Vimeo.
Ja, wir brauchen das Innehalten, das Dazwischen. Und die Ruhe / Zeit dafür. Vielen Dank für den nachdenklichen Text, bei dem so einiges mitschwingt, was mich auch zur Zeit beschäftigt. Und dann diese so schönen Fotos – vielen Dank auch dafür!
Liebe Smilla,
vielen Dank für diesen schönen Beitrag in Wort & Bild!
Oft gehe ich mit Chaos im Kopf durch die Straßen und immer, wenn ich einer Katze begegne geschieht es, dass mein Chaos ganz still wird und ich ganz glücklich. Dann fühl ich mich wie ein kleines Mädchen, bewundernd und werbend um einen Moment, in dem die Katze auch mir ihre Aufmerksamkeit schenkt. Ich bin dankbar für jeden Katzenaugenblick, weil er meinen Alltag relativiert & entschleunigt. Ich glaube, ich muss unbedingt einmal nach Istanbul…:)
Ach….
Danke für dieses wunder!!
You made my day…
Was wäre diese welt ohne KATZEN??
Lg,
Doris
Du hast einen wunderbaren Text über das Dazwischen und ja, die Geduld geschrieben. Ich selbst bin im Moment oft so empört über Zeitgeschehen und -genossen, dass ich mimisch und sprachlich explodieren könnte. Eigentlich ist das die Wut über die Hilflosigkeit gegenüber Hass und Dummheit. Müde sein darüber, das ist auch mein inneres Erleben.
Deine Bilder der großohrigen, so schauenden Istanbuler Katzen sind ganz große Klasse. Und das Bild der Sile-Palamuts rührt mich sehr, denn in diesem Städtchen war ich dutzende Male, schon als es noch ein verschlafenes Schwarzmeerstädtchen war. Und eines dieser großohrigen Bosporus- Kätzchen lebte hier bei uns. Lang ist es her.
Lieben Lisagruß!
Huhu Smilla,
man sagt, das Internet wurde nur für Katzenfotos erfunden. Wenn ich Deine Bilder sehe, weiß ich: Das stimmt!
P.S.: In Sachen Wahrnehmung des alltäglichen Wahnsinns geht es mir ähnlich. Nur leider ohne Katzen: http://mehlschwitze-allesausserkochen.blogspot.de/2016/02/die-wahrheit-das-universum-und-die-afd.html
Liebe Smilla,
in den letzten zwei Tagen habe ich seit dem erstmaligen Lesen und Anschauen Deiner gewissermaßen "kätzerischen" Gedanken und Bilder tatsächlich nicht nur innegehalten, sondern es war einfach viel anderes, wenn auch sicher längst nicht so viel wie in Deinem Alltag. So kommt es, dass ich mich erst jetzt äußere, wenngleich ich auch eher weiß, DASS ich mich äußern will; weniger WIE ich mich äußern "soll"/will/kann. Gedankenfetzen wie "Zustimmung", "geht mir ganz ähnlich" und "überhaupt nicht 'schlicht' (die 'kätzerischen' Gedanken)" sind nicht unzutreffend und scheinen mir doch nicht zureichend das Ausmaß oder die Art und Weise beschreiben zu können, in dem/der ich mich ganz tief drinnen von Deinem Post berührt fühle. So bleibt mir wieder einmal nur, Dir DANKE zu sagen und – obwohl auch ich keine Katze bin – Dir aus meinem ganz anderen Blickwinkel heraus das Sein als Alternative zum (mindestens mitunter nur vermeintlich besseren) Tun und Haben warm zu empfehlen – obwohl oder gerade weil ich durchaus um die nicht zuletzt auch inneren Nöte weiß, in denen mensch sich wiederfinden kann, wenn er/sie sich in einer Welt wie dieser (ganz zu schweigen von den inneren Welten, die jede/r so mit sich herumschleppt) auf's Sein einlässt.
Beste Grüße, von mir und – ich bin sicher – auch von Nachbarins Katze und Kater, welche ich tagtäglich beobachten kann, wenn sie sich gerade auf oder vor meiner Terrasse oder im sonstigen von meinem Wohnzimmerfenster aus einsehbaren Bereich aufhalten.
Schöner Beitrag. Und zur Frage, ob dem Philosophen die Katze beim Denken geholfen hat – Derrida, der sich von seiner Katze "erblickt" fühlte, schrieb immerhin ein ganzes Buch darüber! 😉 "L'animal que donc je suis" – musste ich dran denken.
Ganz wunderbar… Danke.
Vielen Dank für diesen ganz wundervollen Beitrag!
Katzen sind echte Charaktere, jede Einzelne auf ihre Art und Weise….vielen Dank für dieses wunderbare Album 🙂
Gedanken, die ich dieser Tage so ähnlich auch schon öfters gehabt habe…
Traumhafte Fotos von wunderschönen Tieren!
Aber ja, Katzen beruhigen, ich erlebs ja täglich mit meiner. Da kann ich die Istanbuler nur zu gut verstehen. 🙂
Was für ein wertvoller Beitrag mit wunderschönen Worten und atemberaubenden und doch schlicht-schönen Bildern. Und doch brauche ich gerade nur zu meinen Füßen zu gucken denn dort liegt auch ein herzenserwärmender Weltverbesserer. Vielen Dank für den schönen Beitrag!