Lost and found im Karneval

Meinen diesjährigen Karnevalsspaziergang habe ich nicht an Weiberfastnacht, sondern am Karnevalssamstag absolviert. Der vage Plan den ich dabei im Kopf hatte, war, an einem dieser Zwischentage zu fotografieren. Tage, an denen, zumindest in der ersten Tageshälfte, parallel zum onmipräsenten Karneval ein gewisses Maß an Alltäglichkeit stattfindet. Ich starte am späten Vormittag und weiß, dass das durchaus eine zähe Angelegenheit werden kann. Auf den ersten drei Kilometern begegne ich dann auch tatsächlich so gut wie niemandem der verkleidet wäre. So hatte ich mir das ja auch gedacht; lauter normale Menschen beim einkaufen und mittendrin ein Hase an der Fleischtheke. Ein einzelner Elefant in der Strassenbahn, keine Ahnung, lauter so tolle Zufälle möchten es bitteschön sein, die mir am Wegesrand begegnen.

Immer wieder bleibe ich versuchsweise irgendwo ein Weilchen stehen und warte, dass an einer besonders tollen Strassenecke/Hauswand/Baustelle ein laufender Legostein, Bart Simpson oder meinetwegen auch eins dieser doofen Einhörner (ja, doofe Einhörner, so hab ich es gedacht) mein blöde konstruiertes Motiv vollenden möge. Das hat natürlich nicht funktioniert. Krampfhafte Enge ist der Feind von so ziemlich allem, auch und gerade vom fotografieren.

Ich selbst bin übrigens deutlich verkleidet (ernstgemeinter Servicetipp: an Karneval niemals ohne Kostüm fotografieren gehen). Unter all den Menschen im samstäglichen Alltagsgewand ziehe ich die Blicke gründlich auf mich. Ich bin so gesehen mein bestelltes und doch für mich selbst unerreichbares Fotomotiv, das birgt einen gewissen Witz, den ich jedoch nicht recht würdigen kann. Stattdessen kann ich mal ausgiebig nachspüren, wie unwohl ich mich damit fühle, allein durch bloße Anwesenheit derart aufzufallen. Zunächst irritiert, bin ich bald genervt und schließlich aggressiv. Bombenstimmung, Alaaf!

Am Bahnhof beobachte ich zwei junge Männer; der eine holt den anderen ab. Sie umarmen sich rumpelnd. „Hast du irgendwelche Einschränkungen essenstechnisch?“ wird der Ankömmling mit Rollkoffer gefragt und sogleich ausführlich mit Programm-Vorschlägen versorgt. Das mit dem Essen ist natürlich eine zulässige Frage; wer aber jemals der Kölner Karnevals-Bier-Bratwurstfratze tief in den hemmungslosen Schlund geschaut hat, der weiß, dass dieser feinsinnige Ansatz im derben Sturm von Döner und Fettgebackenem seine Existenz zu behaupten haben wird.

Gegen 14 Uhr befinde ich mich in der Nähe vom Dom; da sind auch endlich verkleidete Menschen anzutreffen. Das Verhältnis verkleidet zu unverkleidet hat sich auf wenigen Metern ins krasse Gegenteil verwandelt; meine superoriginelle Fotoidee lässt sich so auch nicht realisieren. Leider ist mir unterwegs zudem irgendwo der Elan abhanden gekommen. Die wenigen Fotos die ich bislang gemacht habe finde ich alle deprimierend belanglos.
In der Ferne fährt eine Rikscha mit zwei betrunkenen Musketieren die Straße entlang. Noch so ein sinnloses Foto, dafür bin ich nun sogar gerannt. Vor meinen Füßen finde ich einen 50 Euroschein im Gras der Verkehrsinsel, feinsäuberlich zusammengefaltet. Sowas!

Im Vorbeigehen Gesprächsfetzen: „…so nach dem Motto, einmal im Jahr…“ sagt da ein Unverkleideter zum anderen. Ein beliebtes Thema. „Auf Knopfdruck gute Laune.“ wäre ein weiterer Aspekt. Ich persönlich mache ja immer wieder die Beobachtung, dass überhaupt gar nicht alle Karnevalisten gute Laune haben. Und das meine ich im besten Sinne.

Ich beschließe mich nicht weiter abzumühen und meinen Ausflug zu beenden. Für den Heimweg nehme ich mir ein Mietrad. (Tolle Sache, diese Mieträder) Unterwegs fällt mir ein, dass der FC gleich spielt. Fußball interessiert mich überhaupt nicht; ich sitze aber gerne dabei, wenn andere gucken. Es gibt nicht viele Veranstaltungen, bei denen ich mich so dermaßen gut entspannen kann wie beim Fußball gucken. Man darf unbehelligt einfach so dasitzen; ich glaube ich bin so eine Art Fussball-Pause-Parasit, mein Wirt ist die Kneipen-Fangemeinschaft.

Nach dem Fußball gucken mit Superwoman und Incognito-Gary-Glitter bin ich nun also zu dritt unterwegs. Mit der Bahn bewegen wir uns in die Südstadt. Dort gibt es erst Pizza und dann Geisterzug: den mag ich sehr, allein schon bei der Aufstellung ist so viel selbstgemachte Musik allüberall.

Der Geisterzug macht sich ohne uns auf den Weg, der Platz leert sich ein wenig. Erste AWB-Kolonnen beseitigen unfassbar viel Müll. Am Aufstellplatz tingele ich in keiner besonderen und darum so zufriedenen Stimmung durch die verbliebende Menge der Feiernden. Sogar eine Kapelle kommt ganz neu herbei und beschenkt den Platz mit Musik. Schön ist das. Nochmal gut ausgegangen, der Tag.

28.02.2017

10 Comments

  • Anna sagt:

    "… kann ich mal ausgiebig nachspüren, wie unwohl ich mich damit fühle, allein durch bloße Anwesenheit derart aufzufallen. Zunächst irritiert, bin ich bald genervt und schließlich aggressiv. …" – Darin finde ich mich sehr wieder – aus (anderen) Gründen; auch ganz ohne Karneval!

    Ansonsten habe ich mich sehr bemüht, aber wirklich kein einziges belangloses Foto finden können, liebe Smilla, und obendrein noch Neues gelernt: über die Laune von Karnevalisten zum Beispiel und Möglichkeiten des Erlebens, wenn andere Leute Fußball gucken. Danke für das alles! Von Herzen!

  • Anonym sagt:

    Tolle Bilder, vor allem vom Geisterzug! Darf ich fragen, mit welcher Kamera Du an solchen Tagen unterwegs bist?

  • Liebe Smilla,
    Deine Karnevalsbilder gefallen mir sehr. Sie sprechen mir aus der Seele, denn wenn man den ganzen Tag in Sachen Karneval unterwegs ist, dann wechseln sich eben gute Laune, Langeweile und manchmal auch Aggressionen ab. Und wenn das Ende versöhnlich ist – und gute Musik hilft da auf alle Fälle, dann sagt man sich: "Nächstes Jahr wieder!".

    LG Grüße
    Astrid

  • Anonym sagt:

    Auch wenn's für die Fotografin kein uneingeschränkter Spaß war – für mich, die Münchner "Zuschauerin", ist die Auslese eine wahre Augenweide! Und überhaupt: Wie schön, nach der langen herbstlichen Pause wieder so gelungene, so besondere Aufnahmen sehen zu dürfen! "Danke" dafür sagt wieder einmal Heike!

  • Anonym sagt:

    Einmal im Jahr sehe ich Deine Fotos von Karneval in Köln. Und einmal im Jahr denke ich: Wie schaffst Du es bloß, diese ganz spezielle Atmosphäre so derartig gut in Fotos zu transportieren? Ich danke Dir ganz herzlich für Deine Mühe, die Du Dir wieder damit gemacht hast! Es hat wieder sehr viel Spaß gemacht, die Fotos zu sehen und den Text zu lesen. Danke!

  • smilla sagt:

    Danke! Ich fotografiere mit einer Canon 5D Mark 3 und hatte für diese Fotos das 50mm Blende 1,2 dabei.

  • smilla sagt:

    Danke Heike, das freut mich! Am Ende wars dann doch ein Spaß, ich vergesse so schnell 🙂

  • smilla sagt:

    Genau! Nächstes Jahr wieder …

  • Christine sagt:

    Ich kann mit Fasching oder Karneval eher wenig anfangen – aber deine Fotos liebe ich sehr. Danke fürs Einfangen der besonderen Stimmung ( und fürs nicht Aufgeben…) Viele Grüße, Christine

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