Kopftuch


Neslihan am Taksim-Platz / Neslihan at Taksim

„Je mehr ich mich mit den Kopftüchern beschäftige, desto weniger kenn ich mich aus“ schreibt Anne Feldkamp in ihrem Blog Blica, in dem sie jüngst den ein oder an- deren Beitrag zum Thema verfasst hat. Mir geht es ganz genauso. Zumal die allerorten hitzig geführte Debatte um das Stück Stoff den merkwürdigen (Ein)Druck entstehen lässt, als müsse man sich klar entscheiden und sich auf die eine oder andere Seite schlagen. Pro oder Contra Kopftuch, da- zwischen bleibt wenig, wie mir scheint. Recht harmlos kommt die vom Sartorialist inspirierte Seite Hijabs High daher, die Kopftuch-Streetstyle präsentiert. Im Ge- gensatz dazu steht die Ansicht der Soziologin und Autorin Necla Kelek, deren Aufforderung an muslimische Frauen lau- tet, das Kopftuch abzulegen, und die in ihrem Buch „Himmelsreise“ gar vor allzu- viel westlichem Verständnis für die islam- ischen Gebote warnt, und sie kompro- misslos als „Kapitulationserklärung vor jeder Freiheitsenteignung“ bezeichnet. (S.13). Anlass zu Spekulationen und Dis- kussionen gibt widerum eine Künstlerin aus Paris, die sich Prinzessin Hijab nennt und Models auf Werbeplakaten mit Sprüh- dose, Pinsel und Stift verschleiert. Hier geht’s weiter…
„The more I deal with the headscarf, the less I seem to know about it“ Anne Feldkamp writes in her blog Blica, where she had published one or another post about this topic during the summer. Excactly the same to me. Especially because the heated debate about the piece of fabric implicates the pressure that one should side with the pro- or con fraction. Being for or against it; inbetween isn’t much space, as it occurs to me. Quite innocent the site Hijabs High appears; a Headscarf-Streetstyleblog, inspired by the Sartorialist. In contrast to this the sociologist and journalist Necla Kelek requests women to cast off the veil. In her book „Ascension to heaven“ she even warns against to much understanding from the western world for islamic traditions, which she uncompromisingly calls “ a declaration of surrender against dis- possession og freedom“. (p.13). Reason for speculations and dicussions is given by an artist from Paris; she calls herself Princess Hijab, and veils the models on advertisement boards by spraying or painting. Please follow…


Frauen in Üsküdar / Women in Üsküdar

Ich selbst habe keine religiöse Erziehung erlebt, bin nicht getauft, war schon in der Grundschule vom Religionsunterricht frei- gestellt. Die Vorstellung mich einem Gott oder einem Guru hinzugeben ist mir per- sönlich mehr als fremd. Trotzdem bin ich in einer christlich geprägten Gesellschaft aufgewachsen. In meiner Klasse war ich die einzige, die dem Religionsunterricht fern- blieb. So positiv ich die mit dieser Erzieh- ung einhergehende Freiheit des eigenen Denkens bewerte; so kritisch sehe ich sie auch. Die Abkehr meiner Eltern von der Religion war nämlich zugleich auch eine Abkehr von der christlichen Gesellschaft überhaupt. „Wer religiös ist, darf belächelt werden“ beschreibt so ungefähr den mir vermittelten Eindruck, der mich früh ge- prägt hat.
Myself, I wasn’t brought up religiously, I’m unbaptized and I didn’t join the religion class from primary school on. To dedicate myself to a god or a guru is, for me personally, not imaginable. Nevertheless I grew up in a christian society. In my class I was the only one who was exempted from the religion class. As positiv as I value the possibility of learning to think open minded, which came along with this form of education, I have kept a wary eye on it as well. The turning away from religion of my parents has been a turning away from the christian socitey also. „Whoever is religious may be sneered at“, this describes a bit the impression which was given to me, and which influenced me quite early.


Auf der Fähre nach Ortaköy / On the ferry to Ortaköy


Frauen in Nisanca / Women in Nisanca

Dies zu hinterfragen, zu durchschauen, eine eigene Sicht auf die Dinge zu finden und formulieren zu können, ist Teil meiner persönlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Religion. So selbstverständlich ich die Gleichberechtigung der Frau fordere, und so kritisch ich dem Kopftuch gegen- überstehe; es pauschal abzuurteilen will mir nicht in den Sinn. Bedeutet es doch Frauen wie der Bloggerin Kübra Yücel einen klaren Verstand abzusprechen. Wer wäre ich, das zu tun? Ebenso würde es bedeuten Emel Abidin Algan im Nachinein für jahre- langes Kopftuchtragen zu diskreditieren. Die Tochter des Gründers der deutschen Sektion der islamischen Vereinigung Milli Görus, hat vor einigen Jahren die Ent- scheidung getroffen das Kopftuch abzu- legen, und beschreibt den Weg dorthin äußerst lesenswert, nachvollziehbar und differenziert in einem Interview in der taz.
To question this, to figure this out, to find my own point of view and to possibly put it in words, is part of my ongoing personal debate concerning religion. As naturally and self-evident I value equal opportunities for women, as sceptical I am about wearing the head-scarf; to generally pass judgement on it wouldn’t enter my mind. It would mean to deny the clear mind of women like, for example, the blogger Kübra Yücel. Who am I, to do so? It also would mean to discredit Emel Abidin Algan in the aftermath, for wearing a headscarf for years. The daughter of the founder of the german section of the islamic association Milli Gürüs decided a few years ago to cast of the veil, and she describes her decision well understandable and differentiated in an interview with the german paper taz.

Sonntags in der Moschee in Eyüp / In the mosk of Eyüp on Sunday

Neze vom großen Basar / Neze from the Grand Bazar


Auf der Fähre nach Büyükada / On the ferry to Büyükada

Übrigens gehört das Kopftuch in Istanbul zwar ebenso wie die sitzenden Männer zum Stadtbild. Es wird allerdings, je nach Stadt- teil, keineswegs davon dominiert.
Besides, the headscarfs, like the sitting men, draw a picture of Istanbul, but they don’t, depending on the district, dominate it.


Im Stadtteil Kumkapi / In the district Kumkapi

17 Comments

  • Anonym sagt:

    ooh…die dame vom basar ist aber hübsch.
    und gerade das kopftuch gibt ihr was besonderes,finde ich.

  • Anonym sagt:

    Oh wie schön!
    Das erste Bild berührt mich. Die Frau hat so strahlende Augen und sie ist so schön bunt gekleidet.
    Danke für die tollen Einblicke, Ausblicke, Anblicke!
    Alles Liebe, Nadine

  • Ja, ein schwieriges Thema.
    Kann das nicht jeder für sich selbst einscheiden? Oder mache ich es mir damit zu einfach?
    Schöne Bilder hast Du von Deiner Reise mitgebracht. Ich hoffe, Du hast noch ein paar auf Lager.
    Liebe Grüße Anja

  • Hatice Akyün sagt:

    Ich bin überwältigt, Smilla! Absolut überwältigt von dieser Schönheit!

  • corinne sagt:

    Sehr interessant hätte ich es in diesem Zusammenhang noch gefunden, wenn Du die portraitierten Damen mit Kopftuch nach ihrer Meinung, ihrem Hintergrund oder ihren Beweggründen gefragt hättest, weshalb sie ein Kopftuch tragen.

  • rebhuhn sagt:

    ein schönes interview – danke für den link!

  • Yartistic sagt:

    Ich war früher sehr kritisch gegenüberdem Hijab, ich habe es mit der Unterdrückung der Frau gleichgesetzt… letztes Jahr allerdings habe ich an einem Austausch mit einer Ägyptischen Schule teilgenommen, und sah ein vollkommen anderes Bild. Die Mädchen stammten aus wohlhabenden Familien, besuchten eine hervorragende Schule und würden zu 95% die Universität besuchen. Viele trugen den Schleier, andere waren noch unentschlossen oder wollten nicht.
    Seit ich diese Mädchen kenne, sehe ich das Thema etwas anders als zuvor. Und ich muss sagen, es sieht auch gar nicht schlecht aus, wenn man es unvoreingenommen betrachtet. 🙂 Sehr schöne Bilder, vielen Dank für die Einblicke! 🙂

  • Bernd sagt:

    supergeile Fotos!

  • Nina sagt:

    Was würde wohl passieren, wenn sich alle Frauen dieser Welt vollkommen frei fühlen dürften, das Kopftuch abzulegen wenn sie es wollen ?!?
    Danke für die schönen Bilder.

  • Anonym sagt:

    "wer religiös ist, darf belächelt werden!" – na, liebe smilla, dafür hast du aber eine bewundernswerte toleranz entwickelt in deinem Leben – Da könnte sich manch einer mehr als eine Scheibe abschneiden – das höt sich zwar jetzt sehr besserwisserisch an. Aber es ist nun mal so: Toleranz und so viel Menschlichkeit und Wärme spricht aus deinen Bildern und dafür immer wieder ein DANKE. Ich bin so froh, dass ich deinen Blog gefunden habe und jeden Tag, den ich ins Internet schaue, muss ich auch bei dir reinschauen. ganz liebe Grüße Gertrud

  • Klickerklacker sagt:

    Mannmannmann…

    mit dieser Exklamation starte ich mal meinen Kommentar…der aus Gedankenfetzen besteht:

    Wofür ist das Kopftuch da?

    Ich gehe auch nicht ohne Hose aus dem Haus…

    Schönes Kopftuch = Vergoldeter Käfig

    Uniform

    Warum trage ich ein Kopftuch?
    Weil ich muss!
    Weil ich will!
    Weil ich darf!
    Weil die anderen auch!

    Einen Rahmen fürs Gesicht-einen Rahmen für die Selbstdarstellung

    Schönes Stöffchen!

    Mich wundert, dass hier die Wellen nicht hochschlagen. Liegt das an deinem sehr prima persönlichem Text, der(ausnahmeweise hier)mal auch was über dich erzählt? Das ist gut, dass du das Thema direkt Individuell/auf die Person/deine Person ziehst. Somit halte ich es mit Corinne, die gern die einzelnen Frauen und ihre Gründe für KT hören möchte. So würde mich auch bei den Comments mehr Meinung interessieren…dass die Abgebildeten wieder ganz bezauberndbezauberndbezaubernd aussehen…wir hätten uns gewundert, wenn es nicht so gewesen wäre!

    Wirklich danke für diesen Post!

  • Gabi sagt:

    Was für schöne und beeindruckende Fotos. Ich schaue mir einfach diese Zeichen einer Kultur – und Religion – völlig wertfrei an. Und entdecke interessante Menschen, Gesichter und manchmal ein bisschen mehr. Ich mag das Licht – in dem Du auch schon die sitzenden Männer fotografiert hast – und die Art, wie Du das Wesentliche in den Fokus des Betrachters lenkst.

  • smilla sagt:

    corinne, ja, habe auch lange überlegt wie ich es mache und mich letztlich dafür entschieden das Thema etwas anders anzugehen.
    Aber um auf deine, und klickerklackers Frage zu antworten; nicht alle auf diesen Bildern konnte ich fragen, bzw habe ich gefragt warum sie das Kopftuch tragen. Aber einige schon; Neze zum Beispiel trägt es, weil sie es im Koran so versteht, und es ihr Schutz gibt.

    Gül, die auf der Bank alleine sitzt, hat etwas sehr ähnliches geantwortet.

    Klickerklacker, aus meiner Sicht ist ohne hosen und ohne Kopftuch ein sehr schräger Vergleich, aber vielleicht, oder vermutlich trifft es das
    für die Frauen die das Kopftuch tragen sehr gut. Ein interessanter Punkt.. und auch die Gründe: müssen, wollen…

    da steckt denke ich viel Zündstoff drin; denn sicher tragen nicht alle das Kopftuch freiwillig, gerade in den ländlichen regionen nicht. Deshalb, Anja, ist es vielleicht wirklich "zu einfach", zu sagen jede wie sie will…denn das lässt aus, dass diese Freiheit keineswegs überall herrscht.

    Yartistic,kann ich gut verstehen was du schreibst. Mir persönlich ist es ein Rätsel, das Kopftuch, das ich noch immer nicht ergründet habe…obwohl mir wirklich langsam der Kopf qualmt vom Thema. Im Nachhinein denke ich, ich könnte eine ganze Istanbulreise nur mit diesem Thema verbringen. Und dann ist der modische Aspekt ja auch noch interessant; viele der Kopftücher werden so raffiniert getragen, geschmückt, verziert, dass es an Schönheit kaum zu überbieten ist.

    Ja, Nina, was würde passieren. Sicher wäre es eine gehörige Revolution…

  • Elke sagt:

    Liebe Smilla,

    ich finde es sehr beeindruckend, dass Du hier so sensibel – und dass heißt: die eigene Position, Prägung, Ausgangslage, wie auch immer, reflektierend – mit dem Thema "Kopftuch" umgegangen bist.
    Ich denke, dass das Kopftuch, genauer: die Debatte um das Kopftuch, ein Symbol für Anderes ist. Es ist immer erstaunlich, dass man "im Westen" unbedingt die muslimischen Frauen befreien will. (Schon der wunderbare Mozart schlägt in der "Entführung aus dem Serail" unglaublich feministische Töne gegenüber der türkischen Kultur an).
    Diese Debatte ignoriert, dass wir alle durch Kleidungskonventionen geprägt sind. Auch wenn wir uns "frei" fühlen, so haben wir uns innerhalb bestimmter Normen zu bewegen. Wir sind z.B. nicht frei, ein Kopftuch zu tragen OHNE dass es bestimmte Assoziationen hervorruft. Ausserdem gibt es hier auch eine Art Zwang, "Freiheit" zu demonstrieren, eine Freiheit, die nicht selten bedeutet, sich entblößen zu müssen (im doppelten Sinne des Wortes).
    Selbstverständlich sollte man, sollte frau der Unterdrückung von Frauen entgegentreten (dafür gibt es auch hierzulande ohne Kopftuch genügend Beispiele). Das kann aber aus meiner Sicht nicht bedeuten, für die jeweils einzelne Frau zu definieren, was ihre Freiheit ist und wie sie sich ausdrückt.
    Hier in Berlin z. B. tragen manche junge Frauen Kopftücher, weil sie sich damit eine Art kulturelles Zeichen geben wollen – sie wollen "muslimisch" aussehen.
    Das Thema ist jedenfalls ziemlich komplex und eignet sich meiner Meinung nach nicht für pauschalisierende Aussagen. Kopf(tuch) ab! – so kann die Devise aus meiner Sicht also nicht lauten.

    Entschuldige den langen Kommentar, ich finde diese Bilder sehr schön (wie immer) und der nachdenkliche Text von Dir hat mich inspiriert, auch länger zu antworten. Ich freue mich auf die nächsten Photos, den nächsten Text!
    Liebe Grüße
    Elke

  • smilla sagt:

    Elke, ganz herzlichen Dank für deinen ausführlichen Kommentar, der doch tatsächlich im Spam gelandet war…also sowas..
    Ich teile deine Meinung mit dem Pauschal-Urteil absolut, und besonders auch den Punkt, dass man eben die Freiheiten in der eigenen Umwelt genauso darauf abklopfen sollte, wie frei frei denn eigentlich wirklich ist.
    Nun muss ich mich mal schnell fortbilden mit der Entführung aus dem Serail…Danke 🙂

  • Anonym sagt:

    Das Bouis Juitton Tuch ist der Hammer! 😉

  • Susanne sagt:

    Danke dir Smilla und euch Kommentator(inn)en für die schönen, differenzierten Beiträge zu dem Thema. Wir gut, dass es auch solche konstruktiven und menschlichen Diskussionen zu dem Thema gibt!

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