„Ich ging im Walde …

 

…so vor mich hin“ schrieb Goethe in seinem Gedicht, dass ich hier zitiere, obwohl ich mich mit Goethe nun gar nicht auskenne.  In meinem Kopf sind  die Zeilen übrigens anders abgelegt: „…so für mich hin“ lauten sie da, und mit dieser kleinen Wortänderung finde ich meinen gestrigen Ausflug ganz treffend beschrieben.
Auch wenn die vorherrschende Stille hier den Anschein erwecken mag, ich hätte mich in die Sommerfrische verabschiedet; im Gegenteil arbeite ich mich gerade in einen Zustand hinein, in dem der bloße Gedanke an eben jene Sommerfrische die Grundlage kühner Tagträume von absichtslosem Müßiggang geworden ist.

Um mich selbst nicht erneut um ein mir selbst versprochenes Wochenende zu bringen, dachte ich, es wäre eine gute Idee frühzeitig einen innerstädtischen Stadtwaldausflug mit hoffentlich initialer Wirkung zu unternehmen: „ … um nichts zu suchen, das war mein Sinn.“
Derart poetisch motiviert plane ich übrigens keineswegs meinen Alltag; das Gedicht ist mir erst auf dem Heimweg eingefallen.

Im Wald, dem städtischen, da ist ein See mit Bootsverleih. Dahinter warten müde wirkende Stapelstühle eines im Umbau befindlichen Hotels mit bedauerlich missratener Fassade auf lebhaftere Zeiten.

Den Mann, der vor dem Häuschen des Bootsverleihs gerade den Eislieferanten verabschiedet, frage ich, ob dies sein Bootsverleih ist und ob ich ihn fotografieren darf: „Die Chefin ist drin, ich bin hier das Faktotum.“  Fotografiert werden, und da spricht er für sich und die verborgene Chefin, möchten sie kategorisch nicht.
Das Faktotum trägt erstaunlich dreckige Jeans, die vermutlich noch – oder schon – die besseren Zeiten des Hotels miterleben durften.

„Aber Ihren Rettungsring, den habe ich fotografiert“ sage ich und fühle mich wie ein störender Eindringling mit zu großer Kamera und zu sauberen Hosen.
Der Mann lacht und ich denke, wie anders er nun nun aussieht. „Na hoffentlich hat er ein anständiges Gesicht gemacht!“ sagt er in breitem Kölsch und betritt die Bretterbude, in der die Chefin vermutlich gerade das Eis verwaltet.

Später finde ich am Wegesrand verlassenes Obst. Ich selbst möchte es nicht essen und auch nicht mitnehmen. Ich fotografiere es stattdessen und überlege einen Moment lang, ob ich etwas Geld daneben legen soll. In einem Anflug von zynischem Pessimismus interessiert mich, ob eher das Geld oder das Obst mitgenommen würde. Und während ich schon in meinen Münzen krame, finde ich meine Idee abwegig, peinlich, dumm und sinnlos und stecke mein Geld beirrt wieder ein.

Beim Kaffee am frühen Morgen habe ich einen Brief an die Bundeskanzlerin unterschrieben. Das klingt informiert und engagiert und täuscht doch nur mäßig über meinen aktuellen Tunnelblick hinweg, der schon belanglose Tagesnachrichten aufzunehmen kaum mehr im Stande ist. Ich selbst habe den Brief aber ja auch nicht verfasst;  das hat Juli Zeh getan und zwar schon vor zwei Wochen. Es geht darin um die allgegenwärtig diskutierten Aushorchmethoden der NSA. Als ich den städtischen Wald verlasse sehe ich alsbald dieses Treppenhaus und finde, es passt eigentlich ganz gut zum Gegenstand des Briefes.

Ruhe durch Reihung, mal wieder.

Schließlich komme ich an einer Kirche vorbei, deren ungewöhnliche Architektur mir bereits von einem Freund beschrieben wurde. Die Tür steht etwas auf und lockt und lädt mich ein, und ich denke an Hänsel, Gretel und das Hexenhaus. Drinnen die für meine Augen grausamen Jesus-Darstellungen, aber auch eine angenehm kühle und einsame Ruhe und ein verblüffendes Raumkonzept.
Irgendwo in der Wand ist ein unauffälliges Schild über einem Einwurfschlitz: “Für unsere Partnergemeinde in Uganda.“
Ich werfe etwas Geld hinein, und hoffe, dass es hier mehr Sinn macht als neben dem Obst.

Selbst die Dächer huldigen der Sonne, denke ich, und missachte beinahe stur die Stimme in meinem Kopf, die mir rät, nun aber endlich wieder etwas zu arbeiten.

Als ich mich  diesem Wäschereckchen (wie der Kölner sagt) widme, dass, kappott (wie der Kölner sagt) an der Wand lehnt und hier vielleicht seine letzte Würdigung erfährt, treffe ich eine Blogbewohnerin. Sie hat sich hübsch gemacht, trägt eine Reisetasche mit der sie auf dem Weg nach Hamburg ist und versprüht jede Menge Wochenend-Gefühl.

 

09.08.2013

13 Comments

  • mo jour sagt:

    danke so sehr für diese besonderen einblicke in den kölner smilla-sommer.
    ich wünsche dir ein schönes wochenende!

  • EIN WUNDERBARER Sommer-Wald-Stadt-Streifzug …
    ich bin ab jetzt ein genießender Fan deiner "anders-anziehen" Portraits – sowohl der Worte als auch der Blicke. Zudem macht`s sogar Lust auf Kölle, wo ich wohl demnächst landen werde.
    Merci & bitte schön weiter so.
    JP

  • Anna sagt:

    Welche Blogbewohnerin war's denn?? Wollte sie in spontaner Solidarität mit der Chefin und dem Faktotum auch nicht (nochmals) auf's Foto?

    Wünsche Dir genügend dieser Arbeitspausen – auf dass Du nicht eines Tages genauso kapott dastehst wie das Wäschereckchen! Wenn doch, nimm schnell den Rettungsring!

    Liebe Grüße –

    Anna

  • schokominza sagt:

    …danke für das teilen deiner eindrücke. ich liebe das bild vom rettungsreifen, so tolle farben und so schön morbide…
    LG – steffi

  • smilla sagt:

    Anna, das sag ich nicht, wegen der Einbrecher 🙂 Und ich hab sie nicht gefragt, ob ich sie fotografieren darf, weil ich so müde war.

    Jutta, danke dir, du meinst du ziehst her, oder machst einen Ausflug nach Köln?

    Mo jour, danke, dir auch. ist gar nicht so leicht, konsequent zu sein

  • Annika B sagt:

    Es ist immer klasse, auch mal was Anderes als Anzieh-Fotos von dir zu sehen (obwohl die natuerlich der Grund sind, warum ich dieses Blog ueberhaupt lese…). Du hast einen so tollen Blick fuer das Schoene im kleinen Detail.

  • Anna sagt:

    "Wegen der Einbrecher"?? Ich steh' auf der Leitung, glaube ich… Meinst Du, die Blogbewohnerin wird dann geklaut?

    Na gut, dann phantasiere ich mal, wen Du denn getroffen haben magst… gibt ja viele spannende Möglichkeiten, wenn man sich auf diesen Seiten so umschaut! 🙂

  • Astridka sagt:

    Schöner Spaziergang mit (fotografisch) toller Ausbeute! Musste lachen, weil ich heute auch im Stadtwald war & dazu gepostet habe. Mich hat vor allem aber das Grün überwältigt ( undmeine kleine Enkelin ).
    Viel Erfolg bei der vielen Arbeit!
    Herzlichst
    Astrid

  • Oona sagt:

    Ich bin Dir gern auf deinem Spaziergang gefolgt.
    Danke dafür!

  • Jan S. Kern sagt:

    Liebe Smilla, es ist nett, Dich auf Deinem Ausflug zu begleiten, auch mal "ohne Kleider"…
    Herzliche Grüsse,
    Jan

  • Anonym sagt:

    Goethe ging auch für sich hin und nicht vor sich hin, meine ich… Danke für den schönen Text!

  • Wolfram sagt:

    Mich würde interessieren, welche Kirche das ist.
    Ich sags auch nicht weiter, Sichtbeton finde ich nämlich gar nicht einladend… 😉

  • Anonym sagt:

    Hi Smilla,

    danke für die schönen Fotos und die aufmerksame Beschreibung. Weil ich Gedichte rezitiere und ebenfalls "für mich hin" erinnere, habe ich nun einige verfügbare Veröffentlichungen durchgesehen: Es heißt immer so, wie wir beide es im Kopf haben.
    "Ich ging im Walde so für mich hin
    und nichts zu suchen, das war mein Sinn"
    :-))
    Liebe Grüße und bleib so wie du bist
    Peter

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