WMDEDGT beim CSD

Inspiriert von der Kaltmamsell mache ich mit bei WMDEDGT*, ausgerufen von der (mir bis dato unbekannten ) Frau Brüllen und so gibt es meinen diesjährigen CSD Bericht mal im Tagebuchstil. * Was machst du eigentlich den ganzen Tag?
Auch in diesem Jahr habe ich mich beim CSD der Auftragsfotografie gewidmet; es galt den Showtruck meines Auftraggebers im gesamten Streckenverlauf stimmungsvoll abzubilden. Schöne Sache.

Hier zeige ich aber nun Fotos, die ich quasi ’nebenbei‘ gemacht habe.

09:15 Mein Blick wandert sorgenvoll in den dunkler werdenden Himmel. Seit Tagen habe ich versucht mich auf Hitze und Sonne vorzubereiten, ich habe reichlich vorgetrunken, mir zwei Hüte gekauft und nacheinander getestet, Sonnencreme LSF 50 bereitgelegt, Kreislauftropfen besorgt, luftige Kleidung und bequemes Schuhwerk ausgewählt. Ich bin nicht gemacht für die Hitze. Aber ich kenne mich: wenn es ans arbeiten geht überschreite ich gerne Grenzen. In der Regel meine eigenen. Für ein gutes Foto renne ich auch bei 39 Grad im Schatten durch die Sonne, ich verzichte auf Nahrung und alles weitere, was bloß aufhält. Persönliche Befindlichkeiten nehme ich zur Kenntnis und heb sie mir für später auf.

09:20 Bepackt mit zwei Kameras und einer Tasche verlasse ich das Haus. Den Fächer habe ich eben noch gegen ein Regencape getauscht, das ich schon auf dem Weg zur S-Bahn hastig anziehen muss. Der S-Bahn sprinte ich natürlich hinterher und so finde ich mich nassgeregnet und schwitzend zugleich mit beschlagenen Brillengläsern im Zug wieder. Das Wort würdelos schiebt sich in meinem Kopf nach vorn. Mein neuer Hut beginnt mit der Verformung.

11:30 Hand in Hand haben sich Hitze und Sonne doch noch herangepirscht. Eine Frau vom Nachbarwagen schenkt mir einen Fächer und freundliche Worte. Nachdem ich am Aufstellplatz ausgiebig Fotos gemacht habe, begebe ich mich zur Deutzer Brücke, wo um 12:00 die Konfetti-Kanonen von prominenter Hand gezündet werden. In diesem Jahr wird Frau Wurst zugegen sein. Es dürfte also voll werden. Auf dem Weg begegnet mir Nacktheit.

Fasziniert frage ich mich, wie der Lendenschurz wohl halten mag ohne weh zu tun. Deswegen mache ich schnell noch ein Foto.

Mitten auf der Brücke befindet sich der Zeremonienbereich, dieses Jahr aufwändig abgesperrt. Für meinen Kunden ist das Eröffnungsfoto wenig bis gar nicht wichtig. Ich quetsche mich trotzdem in den übervollen Pressebereich, wo ich die einzige Frau mit Kamera bin. (Die beiden anderen Frauen haben Mikros und Kopfhörer).
Eigentlich ist dieses Pressegerangel für mich maximaler Horror, dem ich mich konsequent fernhalte. Aber es geht für mich ja hier um nichts und so nehme ich es spielerisch. Tatsächlich gelingen mir aus der hinteren Reihe ein paar ganz gute Fotos von der Eröffnung. Die sind aber langweilig, deswegen zeige ich lieber dieses überbelichtete hier:

12:00 Bei den Eröffnungsreden geht es auch um den gewaltsam aufgelösten Gay Pride in Istanbul und mein hitzeweiches Hirn schaltet sich zu: Frau Scho-Antwerpes sagt sinngemaäß etwas von ‚unserer Flagge nächstes Jahr in Istanbul‘. Dazu muss man wissen, dass Frau Scho-Antwerpes Bürgermeisterin ist und Köln und Istanbul Partnerstädte sind. Ich bin gespannt.
Nach der Konfetti-Ausschüttung kämpfen die Conchita-Fans um Aufmerksamkeit, Fotos und Autogramme.

Der Demonstrationszug setzt sich nun in Bewegung. Parade, so habe ich jemanden in einem Interview bei EinsFestival sagen hören, wird er es erst nennen, wenn Schwule und Lesben gleichberechtigt sind.

Auf dem Weg zu ‚meinem‘ Wagen gönne ich mir ein paar Fotos am Rande. Dabei entdecke ich auch die silberweißen Grazien wieder.

Diese beiden bunten Frauen sind unter ihrer kompletten Körperbemalung beinahe gänzlich nackt. Es ist das dritte Jahr, in dem ich sie (oder sehr ähnlich aussehende Frauen) fotografiere. Irgendwie sperrt sich aber alles in mir, hier Fotos nackter Menschen zu zeigen. Vermutlich steht mir meine eigene Scham dabei im Wege, ich denke noch darüber nach. 

13:10 Am Fuße der Deutzer Brücke bin ich neidisch und tröste mich mit Fotos. Plane demnächst etwas zu trinken.

13:25 Ich bin zwischenzeitlich auf den Wagen geklettert, um von dort das Geschehen zu fotografieren. Mit Dom im Hintergrund. Trinke zwei Flaschen Wasser und warte auf die nächste Halte-Pause, um wieder absteigen zu dürfen. Das ist gar nicht so einfach und muss zudem koordiniert werden. Damit der Fahrer nicht plötzlich weiterfährt komme ich im Funkverkehr vor: „Die Fotografin verlässt den Wagen.“ Fühle mich kurz wichtig, was ein wenig für den ungelenken Kletterabstieg vor Publikum entschädigt.

14:10 Inzwischen warte ich am anderen Ende der Deutzer Brücke auf meinen Wagen. Ich mache eine kleine Sitzpause in einer winzigen Schattenfuge. Minuten später und viele Meter weiter stelle ich fest, dass ich dort meinen geschenkten Fächer verbummelt habe. Es ist zu früh am Tag um aufzugeben. Ich schleppe mich also zurück zur Fuge, wo ich einem schwitzenden Mann schweren Herzens meinen Fächer abnehme. Unterwegs fotografiere ich die Beine einer blonden Conchita, und sehe erst zuhause beim sichten, dass das bessere Foto weiter rechts gewesen wäre.

14:32 Mein Weg führt nun durch die Fußgängerzone. Es ist heiß, rappelvoll, laut, kein Lüftchen geht. Ein Schaufenster verkündet schonungslos die Wahrheit: ich sehe fürchterlich aus. Die Hose habe ich eine Nummer größer geschwitzt, sie bollert unvorteilhaft an mir herunter, ich latsche auf dem Saum herum. Die ehemals weisse Bluse ist nun eine fiesgelbe sonnencremeverfärbte Knittergemeinheit. Mein Hut … ach, der Hut. Schlimm. Er schlappt in allerschlimmster Sarah Kay Manier in mein knallrot erhitztes Gesicht. Der Boden schwankt, kurz denke ich, ich steh noch immer auf dem Wagen.
Ich wünsche mir, dass ich niemandem begegne, oder dass mich zumindest keiner erkennt.
Dann treffe ich auf die Feuerwehr, und das erheitert mein Gemüt.

15:20 Gefühlte 8 km weiter. Ich brauche nun dringend eine Pause, auch wenn es schwer fällt das einzusehen. Mein Kopf ist bedenklich heiß. Am Neumarkt setze ich mich auf den Boden der Vorhalle einer Sparkasse und kühle mich ab. Meine ca sechs Kilo Tragelast lege ich ermattet zur Seite. Gekonnt halte ich diesen Moment mit meinem Handy fest. Wieder schiebt sich das Wort ‚würdelos‘ durch meinen Kopf.

15:52 Der Zug nimmt unerklärlicherweise eine Abkürzung. Später lese ich, dass sich in Köln mal wieder der Boden aufgetan hat.

16:35 Für meinen Wagen ist der Zug vorbei. Mein Equipment scheint schwerer geworden zu sein. Nun gilt es noch auf dem Heumarkt-Spektakel ein paar Fotos zu machen. Dort spricht mich eine Frau an: „Are you pregnant?“ Na, danke, denke ich. „No, I’m fat.“ antworte ich. Das ist natürlich übertrieben und bringt die Ärmste zudem in Verlegenheit. Sie versichert mehrfach, dass sie mir was Nettes sagen wollte. Ich überlege, dass eine Frau in unserer Gesellschaft einen guten Grund für einen Bauch braucht.

17:50 Da sind sie wieder, die dunklen Wolken. Aber nun hab ich auch alles wichtige fotografiert und ich gönne mir ein Taxi für die Heimfahrt. Kaum sitze ich drin, setzt starker Regen ein.
Ich freue mich auf sehr viel, sehr kaltes Wasser. Am liebsten ein Gebirgsbach um darin unterzutauchen. Ach, und essen könnt ich mal was.

07.07.2015

18 Comments

  • Anonym sagt:

    Ich hab's schon oft gesagt: du bist n eisenharter ….
    Vielleicht denkst du doch mal über die Kamera auf dem letzten Bild für dich nach…
    Klickerklacker

  • Rebekka. sagt:

    Neben den vielen tollen Fotos [die Draufsicht auf den grau-schwarzen Wuschelkopf!! <3] danke ich dir auch für diesen Satz: "Ich überlege, dass eine Frau in unserer Gesellschaft einen guten Grund für einen Bauch braucht."
    [Nicht nur, aber unter anderem, weil ich das schon relativ oft gefragt wurde und diverse andere Entgegnungen und Gefühlsreaktionen schon durch habe.]

  • Anna sagt:

    Liebe Smilla,

    wie geht es denn jetzt Deinen Nieren?? Hoffe, (wieder) gut – und dem Rest von Leib und Seele auch!!!

    Wieder mal kann ich mich kaum entscheiden, welche Fotos ich am tollsten finde; darunter sind auf jeden Fall (von oben nach unten angeschaut): Foto 7, 10 – 12 (wobei ich zu Foto 11 Deine Skrupel bezüglich Zeigen der Nacktheit zeitgleich nachvollziehen kann) und Foto 14 und 17.

    Du fliegst doch wieder nach Istanbul, richtig!? Ein Jammer, dass "unsereins" dort und an noch zu vielen anderen Orten noch weit mehr um Akzeptanz kämpfen muss bzw. – noch schlimmer – nicht einmal faire Bedingungen zum Kämpfen hat!

  • smilla sagt:

    Ach, mir gehts prima, alles gut überstanden. Mir ist ja dann quasi direkt nach dem veröffentlichen aufgefallen, dass der Wuschelhaar-Mann eigentlich auch sehr nackt ist … Es liegt wohl auch daran, dass man sein Gesicht nicht sieht. Aber wie gesagt; ich denke noch darüber nach.

  • smilla sagt:

    Also, dass du das kennst wärmt mir das Herz, und ich kenne übrigens auch noch andere Entgegnungen und Gefühlsreaktionen von mir selbst. Könnte mich auch immer totlachen wenn in der Regenbogenpresse bei all den dünnen Schönheiten ein ( nicht vorhandener potentieller Baby-) Bauch thematisiert wird. Nein, eigentlich ist es auch ein bisschen zum weinen.

  • Liebe Smilla, nackt ist eigentlich gar nicht nötig. Es wäre nicht schlimm. Die Austrahlung und Freude kommt aber auch ohne sehr gut und vielleicht sogar besser zur Geltung. Danke für diese schönen Bericht.

  • Danke dir für deine interessanten und wirklich guten Fotos.
    Denn du musstest schließlich schwitzen.
    Deine Texte fand ich ebenfalls kurzweilig u.lesenswert und auch nicht ganz
    unkritisch, gut so.
    liebe Grüße aus der Region 😉
    Hosenträger i.R.

  • mensch smilla, so schick fotografieren und dann noch so klasse schreiben dabei. immer wieder lese und schaue ich alles supergern von dir an! fein, dass es diesen blog gibt. danke, betty

  • julia sagt:

    was für wunderschöne bilder! und so viele schöne glückliche menschen! <3 danke!

  • Anonym sagt:

    tolle EIn- und Aus- und Seitenblicke. schöne Oben- und Untenansichten 🙂

    Lg Lujana

  • Oona sagt:

    Wie schon so oft bei Dir gespürt und gelesen, mag ich Deine Feinfühligkeit. Nackte Menschen – selbst wenn sie sich freiwillig dort in der Masse zur Schau stellen – (fast :O) nicht auf Deinem Blog zu veröffentlichen.
    Für mich macht das einen Unterschied, ob Menschen sich für einen Demonstrationszug (!) ein anderes Aussehen zulegen und das "nur" für ein paar Stunden in einer sich bewegenden Masse von Menschen, Autos und Musik, oder ob die im Bild eingefangenen Körper dann unbeweglich in der Internetwelt zu sehen sind. In diesem Fall ja ohne das Wissen der Menschen. Sonst sprichst Du ja mit den fotografierten Menschen vorher oder währenddessen.

    Ganz fertig :O) gedacht ist meine Äußerung jetzt nicht. So ist grad das Bauchgefühl.

    Ich freue mich sehr neue Fotos zu sehen und Texte zu lesen. Als ich im TV sah, dass wieder CSD in Köln gefeiert wird, dachte ich: "Oh, ich darf nicht vergessen die nächsten Tage bei Smilla auf den Blog zu gehen. Vielleicht habe ich / wir ja Glück und Du hast Fotos gemacht."

    Beste Grüße nach Köln
    Oona

  • kaltmamsell sagt:

    Großartige Geschichte – mein Mitgefühl, Hitze kann Folter sein, wunderbare Bilder. Ich finde Oonas Erklärung für das Zögern, Nacktheit im Foto zu veröffentlichen, sehr plausibel.
    (Und nach Schwangerschaft fragt man außerhalb der Medizinwelt höchstens sehr enge Freundinnen, sonst überhaupt niemanden. Weil distanzlos, übergriffig, unhöflich.)

  • Anna sagt:

    Diese Metalldinger im Vordergrund des ersten Bildes (Fahrradständer?) sehen übrigens aus wie Herzen… mit etwas Phantasie… sehr passend!

  • Anonym sagt:

    Vielen, vielen Dank für diese tolle Geschichte! Und die "Bauchfrage" bringt mich zum Weinen und Lachen zugleich: das Gemeine ist ja, dass sich fast immer BEIDE Dialogpartner am Ende schlecht fühlen und ich fieserweise auf meine Entgegnung: "Das ist nur Speck" auch noch Mitleid mit dem/der Fragenden haben muss…

  • Hilla sagt:

    Tolle Bilder, mal aus einer ganz anderen Perspektive. Einfach schöne Hingucker. Viele Grüße.

  • Sue sagt:

    Wegen der Bauchfrage: da ist dann das Alter ein Vorteil. Ab einem gewissen Alter wird man (normalerweise) nicht mehr nach einer Schwangerschaft gefragt.Wobei sich das vermutlich in der Zukunft auch ändern könnte.

    Gruß von einer ansonsten stillen Mitleserin

  • Anonym sagt:

    Dann sag ich es jetzt:
    Foto6: die Wurst hat Durst.
    Klickerklacker

  • Anonym sagt:

    Ganz toller Blog! Kriegt man direkt ein schönes Gefühl im Bauch!

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