„Typisch Tussi“

Um es gleich vorwegzunehmen; die Über­schrift beschreibt weder Melani im roten Kleid noch ist sie ein Spiegel meiner per­sönlichen Meinung. Eigentlich lässt die darin enthaltene Aussage sogar jeden An­spruch auf Wahr- oder gar Wahrhaftigkeit vermissen.
Am treffendsten lässt sich die Überschrift wohl in die Kategorie Projektion einsor­tieren. Wer sich schminkt, frisiert und hübsch macht, sich bei der Wahl der Kleidung Zeit nimmt oder Mühe gibt, dem wird nicht selten Eitelkeit und Oberfläch­lichkeit nachgesagt, wobei diese Begriffe natürlich selbstredend negativ besetzt sind und möglicherweise mehr mit dem beur­teilenden als dem beurteilten zu tun haben.
Melani hat Spaß daran, sich feminin zu kleiden, sie genießt es Frau zu sein. Sie tanzt gern Burlesque, nicht zuletzt weil sie darin eine Möglichkeit sieht, ihre Weib­lichkeit auszuleben: „Das kann man ja sonst heute kaum mehr machen, ohne in den Verdacht zu geraten, eine Tussi zu sein.“
Auch beim Thema Gleichberechtigung und Emanzipation trägt man in geschminktem Zustand also bisweilen schwereres Gepäck; dass man beim weiblich-sein kein Weibchen ist, ist nicht unbedingt in allen Köpfen angekommen: „Wenn man einen Rock und hohe Schuhe trägt wird man oft gefragt ob man noch was vor hat. Ich möchte aber feminin rumlaufen können, ohne noch was vorzuhaben.“
„Chick-like“ is the translation of the german headline and to cut it short it’s  neither a discription of Melani in her red dress nor my personal opinion. Actually the headline even lacks of any demand of truth or truthfulness.
The headline probably is best explained by the word projection. Women who are wearing make-up, taking good care of their hair-do or who choose their wardrobe thoroughly  often are categorized as superficial and vain and of course these words are connoted negatively, even if they probably tell more about those who judge than those who get judged.
Melani likesto dress up femininely, she enjoys being a woman. She loves to dance burlesque, not least because this gives her an opportunity to act out her femaleness: „This is hardly possible nowadays, if you won’t get suspected being a chick.“
So if it comes to emancipation or sexual equality it still may be even harder to be taken seriously if you pretty yourself up. That being dressed up doesn’t automatically means to be dumb hasn’t reached the minds of all people yet.
„If you’re wearing a skirt and high-heels you often get asked if you’ll be going out. But I want to dress up femininely without going out.“

Bestimmte Elemente des Burlesque-Tanzes hat Melani in ihr alltägliches Bewegungs-Repertoire aufgenommen: „Es gibt da große Bewegungen und Gesten, zB. wenn man sich hinsetzt. Das wirkt vielleicht seltsam auf andere, aber es macht Spaß und fühlt sich einfach gut an.“

„Die sind schon sehr persönlich“ antwortet Melani auf meine Frage, was ihre Tattoos ihr bedeuten. Ihren linken Arm ziert ihre Katze Mimi: „Die wird noch bunt und überhaupt wird das hier noch alles voll,“ sagt Melani und zeigt auf ihre Arme. Ganz altmodisch und entsprechend verschämt frage ich, wie sie ihre Tattos wohl findet, wenn sie 65 ist. „Da hast du doch sicher drüber nachgedacht?“ sage ich und fühle mich unsagbar spießig. „Man lebt nur einmal“ antwortet Melani. „Eigentlich hab ich da nicht so drüber nachgedacht. Ich finde es jetzt richtig und gut.“
Melanis Tatoos erzählen kleine Geschich­ten: Der bunte  Totenkopf auf ihrer Brust ist in Anlehnung an einen der größten und wichtigsten Feiertage in Mexico ent­standen: der Dia de los Muertos: Tag der Toten. In Mexico wird das Thema Tod, anders als bei uns, nicht tabuisiert. Am Tag der Toten kommen nach dem Volksglauben die Verstorbenen zu Besuch und das wird ausgiebig und bunt gefeiert. Dieser Gedanke gefällt Melani: „Da ist dann dieser Totenkopf als Symbol eben viel passender für mich, als wenn ich mir da ’ne große Sonnenblume stechen lasse.“

Some elements of burlesque-dance Melani integrated to her all-day-repertoire of personal style of movement. (sorry for my bad english)
„There are a lot of sweeping gestures in burlesque-dance, for example if you take a seat. Maybe this looks strange to others, but it’s fun and it simply feels good to me.“

„They are quite personal“ Melani replys on my question, what her tatoos mean to her. Her left arm shows her cat Mimi: „This tatoo will get colored later and besides there will be tatoos all over.“ Melani says, pointing at her arms. Pretty old-fashioned and according to that feeling awkward I ask, how she’ll think about her tatoos at the age of 65. „You must have considered that thoroughly, didn’t you?“ I ask, feeling completely narrow-minded. „You only live once“ Melany answers. „Actually I didn’t really consider that beforehand. Today I think I’m doing the right thing.“
Melanis tattos are telling little storys: the colored skull on her chest is dedicated to one of the most important and popular feast days in Mexico: the Dia de los Muertos, the Day of the Dead. The mexicans doesn’t ignore death, it’s not tabooed like it is in our culture. In popular belief at the Day of the Dead the departed are visiting the living. This calls for an extensive and colorful celebration, which lasts several days. Melani rather likes the idea: „So this skull fits much better to me as, lets say, a huge sunflower.“

08.07.2012

18 Comments

  • Kristin sagt:

    Wunderbare Frau, wunderbarer Bericht!

  • … ich bin wieder einmal schwer begeistert ;o) vielen dank auch für dieses nette portrait…!

  • Anonym sagt:

    Wie schön, hier wieder etwas zu lesen!

  • Anna sagt:

    Abgesehen davon, dass mir dieser andere Umgang mit dem Tod zwar fremd, aber durchaus sympathisch ist, fällt mir dummerweise gerade nichts Schlaues zu Melani ein, außer dass ich viel zu feige für so viel Bilder auf dem Körper wäre (das tut doch weeehhh!??!?)… Aber ich wollte dennoch kurz sagen, dass ich mich sehr freue, das "heute morgen" ist! 🙂

  • Flora sagt:

    Ich kann Melanie im Punkt feminine Kleidung nur zustimmen. Ich kleide mich zwar deutlich dezenter, aber ich trage (fast) nur Röcke, da ich dieser schöner und bequemer als Hosen finde und werde deswegen auch manchmal schräg angeschaut oder gefragt, ob ich noch etwas besonderes vorhabe. Das finde ich immer sehr irritierend, denn ich frage umgekehrt auch keine andere Person, ob sie sich mal wieder die Jeans vom Vortag angezogen hat, weil sie nichts mehr vorhat ;-). Lg, Flora

  • Anonym sagt:

    Zu gerne würde ich Melani beim Hinsetzen zu sehen.
    Ulli

  • Oona sagt:

    Weiblichkeit. Das ist ein so umfangreiches "Thema" und das war es wohl schon immer. Ein für mich sehr wichtiges Thema aus verschiedenen Gründen.

    Hm… Totenköpfe aller Art oder aus welchem Hintergrund auch immer finde ich unangenehm und… tja, kann es gar nicht in Worte fassen. Dazu noch auf der Brust eingestochen schaut es das Gegenüber von Melani an.

    Andererseits – wenn das Wort überhaupt stimmig ist, denn ich sehe keine zwei Seiten sondern die Vielfalt des Leben – : das eigene Lebensgefühl auszudrücken und zu zeigen, finde ich beeindruckend und ich würde mich freuen, wenn Melani die (für sie) schönsten Tattos für ihren Ausdruck findet.

    **
    Ich habe Deine Posts vermisst.

    Grüße an Dich
    Oona

  • Interessant. Denn ich habe in letzter Zeit oft das Gefühl, man hält mich für eine Tussi. Obwohl ich eher zur Sorte Mauerblümchen gehöre und die Deko am Körper mager ausfällt. Vielleicht ist Tussi ein Sammelbegriff, für Eigenschaften, die man an Frauen weniger schätzt. Die Frau sollte ruhig und unauffällig sein. Unauffällig in Form, Deko und Ton samt Meinung.

    Ja, da muss ich zustimmen, den Akt des Hinsetzens würde ich auch gern sehen 😉

    Liebe Grüße . Tabea

  • dachbar sagt:

    Mann, ich bin richtig geplättet von dem Text.
    Die Photos zeigen mir eine starke, selbstbewußte Weiblichkeit, die mich total beeindruckt.
    Und dann kommt der Text und reißt eine neue Dimension dieser Frau auf, gibt ihr eine andere Seite und plötzliche Tiefe – die eher meine Klischees im Blick entlarvt 😀
    Toll!
    Ein Symbol der Sterblichkeit auf dem Herzen zu tragen, installiert etwas in den Alltag, was genau da hingehört: Die Schönheit Und Kraft des Moments. Und seine Vergänglichkeit.
    Tolle Fotos. Tolle Frau. Tolle Perspektive einer tollen BlogErzählerin.
    Danke, Smilla

    P.S. Das mit dem Hinsetzen macht mich sowas von neugierig…

  • sabine sagt:

    vielleicht sollten wir frauen uns gedanken machen, wer den begriff tussi negativ besetzt? vielleicht waren das männer, die mit typisch weiblichem verhalten nicht umgehen können, denen wir damit auf die nerven gehen? solche begriffe aus der "männerwelt" werden manchmal unreflektiert auch von uns frauen übernommen. wenn tussi allerdings bedeutet, dass ich meine weiblichkeit ausdrücke, meinen weiblichen stil lebe, dann bin ich gerne eine tussi – vielleicht sogar eine "old tussi". manchmal verändern begriffe ihre wertigkeit, eventuell passiert das mit tussi auch einmal.
    die bilder von melanie sind wunderbar, ich mag ihren burlesquen stil sehr und ich finde ihre haltung auf dem ersten foto beachtenswert.
    lieben gruß von sabine (heute eine plaudertussi).

  • smilla sagt:

    Sabine: ich hab mal eben schnell wikipedia-recherchiert; Tussi kommt von Thusnelda, und das war eine Cheruskerfürstin deren Tod auf irgendwann nach dem Jahr 17 geschätzt wird.
    Also sehr lange her. Mit Kleists Drama "Hermmannschlacht", und ich gebe hier nur wieder, was ich gelesen habe, ohne ein Quentchen Eigenwissen, hielt die negative Besetzung des Namens Thusnelda und im folgenden der Gebrauch des Begriffes Tussi für nervige Ehefrauen und "eitle und oberflächliche Dummchen" Einzug.

    Ich kann mich erinnern, dass ich mich selbst mal als Tussi bezeichnet habe:
    Ich stand sehr früh morgens im Kostümfundus als eine Kollegin kam und mein Aussehen kommentiert hat. Irgendwas mit "du bist ja geschminkt…"
    Mir war nicht ganz klar, wie due Bemerkung gemeint war, deswegen habe ich mich in einen Witz geflüchtet: "Ja, ich bin jetzt ne Tussi."

    Gleichzeitig habe ich gemerkt, wie befreiend dieser Satz war.
    Alles negative wofür dieser Begriff so steht ist nicht, was ich mir in dunklen Stunden persönlich zum Vorwurf mache. Sich der vermeintlichen Hauptbeschäftigung einer Tussi hingeben zu dürfen empfand ich plötzlich als grandiose Möglichkeit der Selbstwertschätzung.

    dachbar: lustig, dass die Neugier bezüglich des Hinsetzens so groß ist. Ich hatte das beim schreiben schon "befürchtet", dass nun ein völlig falsches Bild entsteht; dass Melani sich stets hinsetzt als wäre grade Reeeevue…
    Ich nehme mal an, dass sich dahinter die gleiche Freude am zelebrieren von Alltäglichkeiten verbirgt, wie bei Melanie, wenn sie bestimmte Bewegungen übernimmt. Das ist doch interessant, dass nichtkonforme Bewegungen so reizvoll sind.
    Und dass Menschen, die sich sowas trauen gute Laune machen.
    Oder aber, ums mal ganz drastisch zu sagen, gemobbt werden, weil sie nicht ins Schema passen. Kommt ja leider auch vor.

    Flora; lustige Gedanken-Parade!

    Tabea, und wie findest du, dass man dich für ne Tussi hält? Was macht dich denn deiner Einschätzung nach in den Augen anderer dazu?

  • klickerklacker sagt:

    Wir wolln sie setzen sehn!!

  • Hallöchen,
    ich habe sehr gern diesen Beitrag gelesen.
    Du hast eine tolle Art zu schreiben und deine Fotografien gefallen mir sehr gut.

    Beste Grüße,
    Kreaface

  • Melani sagt:

    Liebe Smilla,
    vielen vielen vielen Dank für diesen tollen Bericht..Ich bin sehr froh dass wir uns getroffen haben :)))

    Und ich möchte mich auch noch bei all den lieben Worten hier bedanken. Das freut mich wirklich sehr…

    Lieben Gruß
    Melani

  • smilla sagt:

    Meleni, das freut mich, dass du dich hier meldest!!
    und dass ich dich fotografieren durfte erst recht, lieben Gruß smilla

  • StreetLounge sagt:

    Beth Ditto's younger sister? 🙂

  • Ich möchte mich für deine Worte bedanken. Hast ne tolle Art dich auszudrücken. Macht mir echt super spass deine Posts zu lesen.

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