Sitzgelegenheit

Istanbul ist ohne Zweifel eine große Stadt, das steht fest. Ich habe ohne Zweifel kei­nen besonders ausgeprägten Orientierungs­sinn, auch das steht (leider) fest. Und auch wenn ich dennoch immerzu meine ich könnte – ganz Ortskenner –  den ein oder an­deren Weg abkürzen, so musste ich während meiner ausgedehnten Stadtspa­ziergänge durch diese sehr (!) hügelige Stadt gleich mehrfach einsehen, dass ich, im besten Fall,  im Kreis umhergeirrt war.
In geradezu ignoranter Verleugnung meiner Orientierungsschwäche laufe ich am liebs­ten ohne Straßenkarte mehr oder weniger einfach so drauf los. Da Karten in Istanbul ohnehin nicht stimmen, wie ich nicht nur lesen sondern auch erfahren durfte (Karte lesen kann ich), ist diese Taktik eigentlich auch nicht verkehrt. Die Größe der Stadt, die zahlreichen, ähem… Umwege, die vielen steilen Treppen; vielleicht hat all dies meinen Blick sensibilisiert für die vielen Stühle und Höckerchen am Weges­rand. Vielleicht sind sie mir auch auf­gefallen, weil sie leer und bereit standen, ja gleichsam zu warten schienen: auf besseres Sitz-Wetter, den wahren Besitzer, auf wen oder was auch immer. Bin ich nach meiner letzten Istanbul-Reise heimgekehrt mit einer Serie der sitzenden Männer, so sind es dieses Mal schlicht nur die Stühle.
Weiter gehts, bitte hier entlang…
Istanbul is a huge city, beyond doubt. I have a badly developed sense of direction, also beyond any doubts. And even if I’m nevertheless convinced that I possibly could take some short cuts, just like a local, I again and again had to experience, that I simply walked around in a curcuit (at best).
Ignoring consequently that my sense of direction is so unincisive I prefer to start my strolls without using any maps, just walking wherever it takes me. For the reason that Istanbul maps mostly are incorrect anyway, as I could not only read but also experience, this somehow isn’t the worst tactic, anyway. The size of the city, my extensive detours, all the steeply stairs, maybe all this aroused my attention for all the empty chairs and stools all over the place. Maybe they caught my attention because they seemed to wait for their owners to sit on, for fine weather, or for whom or whatever.  I took a photo-series of sitting men in Istanbul last time. This time I simply took pictures of empty chairs.
See more, please follow…

Vor einem halben Jahr ist in Istanbul ein neues Gesetz in Kraft getreten: es ver­bietet den Gastronomen, vorzugsweise in Szenevierteln wie Beyoglu oder Galata, wie mir scheint, die Außenbestuhlung. Ganz unverständlich ist eine solche Maßnahme nicht. Ich kann mich gut erinnern, wie ich in so mancher kleinen Gasse meine gesam­te Aufmerksamkeit dahin gerichtet habe, ohne Gläser und Flaschen von Tischen zu reißen mich an eben jenen vorbei zu quetschen.
Nun aber habe ich in verwaiste Seiten­straßen geblickt, die Vorübereilende mit keinerlei verführerischen Schemeln, Pol­stern, Tischreihen oder Sitzkissen mehr zum Innehalten und Verweilen zu animie­ren vermochten, auch wenn die Kneipen, Restaurants und Bars ja noch da sind.
Six months ago a new law became effective in Istanbul: putting chairs and tables outside is now illegal for those who run a bar or a restaurant. Especially in hot-spots like Beyoglu and Galata, as it occurs to me. In a way this is even understandable: I very well remember walking through tiny little lanes, trying not to knock bottles and glasses flying off the tables I tried to pass by.
During my latest trip to Istanbul I had a look into empty lanes, with no chairs, stools, sofas and cushions, nicely arranged to invite the passer-by. Although of course the bars and restaurants are still there.

Für zufällig Vorübergehende mögen die Stühle herrenlos oder verlassen wirken. Und doch, mir ist es nicht ein einziges Mal in den Sinn gekommen, auf einem von ihnen Platz zu nehmen.
For those who incidentally pass by these chairs may seem abandoned. Anyhow, I never even thought about taking a seat on one of them.

Nein, dieses Sofa stand nicht vor einem Gebrauchtmöbelladen.
No, this sofa wasn’t standing in front of a shop to be sold.

An einigen Straßenbahnhaltestellen in Sultan Ahmet und Eminönü stehen diese ‚Buchbänke‘ ganz öffentlich für Wartende bereit. 
At some tram stops in Sultan Ahmet and Eninönü these ‚book-benches‘ provide a seat for people waiting.

Als ich dieses orangene Plastik-Höckerchen fotografiere kommt schnell Ali herbei und nimmt darauf Platz. Dass ich einen leeren Hocker fotografiere scheint ihm offenbar nicht sehr einleuchtend. Ali ist Russe; in der Nähe von Kumkapi hat er ein Geschäft für Handtücher und Bettwaren. Vor dem Geschäft steht sein Hocker.
When I took a picture of this orange plastic stool Ali quickly came and sat down on it. Obviously to him it didn’t make any sense to take a photo of an empty chair. Ali is russian; close to Kumkapi he runs a small shop, selling towels and bedding. In front of the shop his stool is placed.

17 Comments

  • Oona sagt:

    Nur kurz, liebe Smilla:
    es sind in dem Lied von Reinhard die Griechen und die Musik ist etwas komisch, weil zu schnell, aber auf den Text gehört!
    Auf der CD ist das Lied viel schöner!

    http://www.youtube.com/watch?v=dA5Zows2nMw&feature=results_main&playnext=1&list=PL32A5D64E711DD67E

    Ab Minute 2.30 kommt der Reinhard.
    Drei Stühle.

    Deinen Text lese ich erst später. Aber das kam mir spontan in den Sinn als ich die Bilder sah.

    Herzlichst
    Oona

  • z e n i . sagt:

    wunderbare bilder. die vorfreude steigt. istanbul ist geplant. im mai.merci.für den schönen post.
    herzlich
    daniela

  • smilla sagt:

    Oona::-) danke, das passt gut. Hab ne andere Version gesucht, ohne das Bodo Wartke-Intro, aber nicht gefunden.

    Drei Stühle Reinhard May

    Zeni: dann viel Spaß, Mai ist sicher toll dort: schon, aber noch nicht zuu warm

  • woll-as sagt:

    Die Buchbank im öffentlichen Raum – in einem Land in dessen Weiten des Hochlandes soviele Analphabeten leben, ein Land das in früherer Zeit Hochkultur erlebte , all das schoß mir durch den Kopf. Diese Bank ist meine persönliche WELTBANK 🙂

  • Liisa sagt:

    Oh, die Buchbänke sind – Überraschung! – meine Favoriten in der Serie! :))

  • mona lisa sagt:

    einladend
    ausladend
    beredt
    bedruckt
    besessen

    einfach schön anzusehen

  • Violine sagt:

    Smilla, wie findest Du denn wieder zurück, wenn Du Dich dauernd verläufst?

  • Anna sagt:

    Hach, liebe Smilla, das gefällt mir einfach! Sowohl in Wort als auch im Bild! Überhaupt und im Speziellen wohl auch deshalb, weil ich eine eigentümliche Beziehung zu (anderen) Sitzgelegenheiten habe, da ich meine eigene ja immer dabei habe… Letzterer wegen glaube ich, dass Istanbul "meine" Stadt nicht unbedingt werden würde, wegen der beschriebenen und teils bebilderten Stufen und Steigungen… Naja, andernorts ist's auch schön! 😉

  • Tolle Motivserie. Wär hier ein Flattr-Button, hätte ich den jetzt gedrückt…

  • smilla sagt:

    Violine: wer sagt denn das ich zurückfinde? 🙂
    Gleich am ersten Abend hab ich beispielsweise meine Unterkunft nicht wiedergefunden. Da ich privat gemietet hatte, und leider die falsche Telefonnummer dabei, gab es tatsächlich einen Moment an dem ich dachte, ich werde wohl in ein Hotel gehen müssen für die Nacht.
    Naja, irgendwann stand ich dann total abgekämpft an einer Ecke, die ich wiedererkannt habe.
    Ich hatte übrigens tatsächlich versucht eine Abkürzung zu nehmen. Und an so lächerliche Details wie etwa die Adresse zu notieren, tja, da hab ich im Schwange des Ankommensglückes nicht dran gedacht.

    Anna, ja, für dich wärs sicher schwierig, zumindest in veilen Stadtteilen. Es wird auch wenig Fahrrad gefahren.

    Uschi, hmm, du bringst mich auf Gedanken…

  • Anna sagt:

    Smilla und alle anderen Interessierten: Vielleicht wißt ihr es schon, falls nicht: Am Sonntag Abend läuft um 21 Uhr 45 auf 3sat der Film "Men on the Bridge", der sich um die Brücke dreht, die den europäischen und den asiatischen Teil Istanbuls verbindet.

  • Violine sagt:

    Oh, Smilla, das ist ja unglaublich anstrengend! Abenteuerurlaub pur!

    Ich kann Dir von der Chinareise einer Freundin erzählen. Die war da auch privat untergebracht, bei einer Freundin. Und diese unterbringende Freundin, die hatte meiner Freundin einen Zettel mitgeben, auf der die Adresse stand. Diesen Zettel hatte sie dann immer dabei. (Bei China kommen ja schliesslich noch die irren Schriftzeichen hinzu.)
    Und das hat immer geklappt.

  • smilla sagt:

    Anna, oh, danke, ich wußte es nicht, sehr interessant!
    Ich dachte erst es ginge um die galata Brücke, die führt aber ja nicht nach Asien.
    Über die Filmbrücke bin auch gerade gefahren,..

    Violoine: tja, also in China dürfte mir das nicht passieren…bitter ..:-)

  • Klickerklacker sagt:

    Niemals ohne Telefon das Haus verlassen!!!

  • rebhuhn sagt:

    ich will so eine buchbank, für den garten. hast du dort wenigstens mal kurz ausprobiert, ob die bequem sind?

  • Shira sagt:

    Die Buchbank ist echt genial!!! So eine moechte ich auch =)
    Und schon verrueckt, dass dort ueberall Stuehle stehen. Sachen gibts… Das bringt einen auf die irrigsten Gedanken! Danke dafuer, Smilla!
    LG Shira

  • Anonym sagt:

    Hallo, ich bin über bloglovin bei dir gelandet. Wundervolle Bilder. Vor allem die Bilder mit dem Label Stadtspaziergang sind genau meins. Vielleicht weil das mein Projekt so trifft. Genau solche "Charakterbilder" versuche ich von Köln in meinem Blog einzufangen. Vielleicht hast du Lust mich zu begleiten?
    Viele Grüße,
    Verena

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