„Schöner unsere Paläste“…

…so heisst der Bildband von Gerd Danigel, und am liebsten würde ich nun eine Aus­wahl der darin enthaltenen Fotos ver­öffentlichen. Allein, am Ende wäre es wohl beinah das ganze Buch, denn daraus auszuwählen gleicht einer Unmöglichkeit. Die Schwarz-Weiss-Fotos, zwischen 1978 und 1998 auf den Strassen Berlins ent­standen, zeigen Gerd Danigels hinter- und feinsinnigen real-poetischen Blick auf eine Welt, die inzwischen gründlich und mehr­fach erneuert wurde.
Meine ausdrückliche Begeisterung für Gerd Danigels Fotos wechselt sich mit fast demütiger Dankbarkeit für sein Werk ab. Keines seiner Bilder ist belanglos oder beliebig. Mit durchlässigem Gespür für kleine und große Augenblicke und vor allem für den richtigen Moment, teilt er mit, was er gesehen hat. Seine Bilder sind Würdigungen ohne zu romantisieren, sie entlarven ohne Niedertracht, und immer wieder fangen sie die rhythmische Eigen­komposition des Alltäglichen ein, dessen Verweildauer nicht selten eine Sekunde unterschreitet.

Weiter geht’s, bitte hier entlang…

Gerd Danigel is a Berlin based photo­grapher.  A few months ago his photos have been published in a  book, and I definitely would like to show a selection. But probably I would post all of his photos, for the reason that it seems impossible to me to narrow down the choice. His monochrome pictures, taken between 1978 and 1998 in the streets of Berlin, present Gerd Danigels subtle and sensitive poetical view into a world which has been rigorously modified in the meantime.
My explicit enthusiasm for Gerd Danigels photos alternates with a thankful humble­ness for his complete work. His photos are appreciations without romanti­cizing, they reveal without baseness, and over and over again they catch the rhythmical self­composition of everyday occurrences which often last for less than a second.

Read more, please follow…


Letzten Sonntag habe ich Gerd Danigel auf dem Mauerpark-Flohmarkt in Berlin getrof­fen. Dort verkauft er jede Woche original Handbabzüge seiner Fotos zu einem Preis der ihnen nicht gerecht wird. Gerd Danigel ist gelernter Gasmonteur, die Fotografie seine Leidenschaft. Der späte Versuch sich beruflich zu emanzipieren und als Fotograf zu arbeiten scheiterte nach recht hoff­nungsvollem Beginn in den Zeiten des Mauerfalls. Das Institut für das er arbeitete wurde geschlossen, Gerd Danigel war arbeitslos. Und er musste sich, wie alle ehemaligen DDR-Bürger, in einer neuen, fremden und schnellen Welt zurechfinden.  „Keinem DDR-Bürger wird es schlechter gehen als bisher. Im Gegenteil.“ Dieses Zitat trägt ein Mann auf einer Papptafel vor der Brust, fotografiert von Danigel auf einer Demonstration 1991 in Berlin.
Besser und schlechter findet auf vielen unterschiedlichen Lebens-Ebenen statt, die wahr-und ernst zu nehmen eine solch eindimensionale Aussage weder ermutigt noch auszudrücken im Stande ist. Übrig bleibt ein Mann mit Papptafel und ein Fotograf der ihn sieht.
Last sunday I met Gerd Danigel at the Mauerpark-Fleamarket in Berlin. Every weekend he sells his photos there for a price which mis-states it’s worth. Gerd Danigel used to be a gaspipe assembler, taking photos is his passion. His late try to emancipate himself in his professional life, and to work as a photographer, failed after a hopeful beginning during the times of the fall of the Berlin Wall. The institute where he worked was closed, and Danigel was unemployed. As all the citicens of the former GDR he had to orient himself in a foreign, fast and new world. „No citizen of the GDR will fare worse. To the contrary.“ A man carries a cardboard with these words, photographed by Gerd Danigel on a demonstration in Berlin 1991.
Better or worse concernes so many diverse levels of live which can’t be expressed by a one-dimensional statement like this, nor does it encourage to take those levels seriously.
What remains is a man with a cardboard and a photographer who sees him.

Mehr als einmal hat ihm das Fotografieren die Bekanntschaft mit der Stasi einge­bracht. Als er diese Kinder beim winter­lichen Rodeln an einem Mauerabschnitt foto­grafiert, sind die Beamten schnell zur Stelle. Bis nachts wird er verhört, mit Ver­dächtigungen konfrontiert, ihm wird ge­droht und natürlich muss er den Film herausgeben.
Danigel, Meister des Momentes, nutzt eine Möglichkeit die sich ihm bietet: er ent­nimmt seiner Kamera zwar den Film, gibt allerdings dann einen leeren ab. Monate­lang lebt er hinterher in der Sorge, dass sein Trick entdeckt wird.
„Fotografieren ist meine Art mich auszu­drücken. Andere zeichnen oder machen Musik. Ich fotografiere.“
Ich frage Gerd Danigel worauf es im Leben ankommt. Er überlegt und sucht nach Worten. Dann plötzlich hat er sie ge­funden: „Mensch zu bleiben.“ Was genau er damit meint, frage ich. Er überlegt erneut. Dann sieht er mich an und sagt: „Tja, das kann ich nicht erklären. Das versteht man oder nicht.“

Wer sein Buch kaufen möchte kann dies hier oder direkt auf seiner Seite tun. Oder aber einfach Sonntags auf den Mauerpark-Flohmarkt gehen. Da gibts das Buch und eine persönliche Widmung vom Fotografen obendrein.

More than once he has got in trouble with the Stasi through his photography. When he photographed these children sledding close to the Berlin Wall they immediately approached him. Until midnight they interrogated him, they threatened him, he was under suspicion and of course he had to hand out his film.
Danigel, Master of the moment, took his chance when it aroused: he unloaded the film out of his camera, but then he changed it for an empty one. For months after he was afraid that his trick would be discovered.
„Photographing is my way to express myself. Some people paint or play music. I take photos.“
I ask Gerd Danigel what he considers important in life. He ponders, groping for words. Then he says: „Being kind.“ I ask, what he excactly means with this. He ponders again, and looks at me. „Well, I can’t explain that. One can understand this or not.“

Who is interested in buying his book: you’ll find it here or at his homepage. Or you simply can go to the Mauerpark-Fleamarket. There you can get the book, getting a personal dedication from the photographer on top.

11.12.2011

10 Comments

  • Binele sagt:

    Hallo Smilla,

    ich kenne diese Fotos. Ich war in diesem Jahr auch auf dem Mauerpark-Flohmarkt und dieser Stand hat mich lange in seinen Bann gezogen. Ich habe mir viele seiner Fotos angeschaut und tolle Aufnahmen entdeckt. Die Fotos haben mir sehr gut gefallen!!!

    Vielen Dank für diesen Post!

    LG

    Binele

  • Anna sagt:

    Bist Du, Smilla, bzw. ist der Blick durch Deine Kamera vor Neid bzw. wohl besser vor Respekt erblasst? Die Farbe ist (auch) aus Deinen Bildern gewichen!

    Mich rührt die Geschichte mit den Kindern beim winterlichen Rodeln und dem geretteten Film an! Skurril die Angst der "Machthaber" vor denen, die es auch in widrigen Systemen schaffen, "Mensch zu bleiben" und sich ihrer kreativen Ausdrucksformen nicht berauben zu lassen! Mein Respekt für letztere!

  • Anonym sagt:

    wow…!!!

  • smilla sagt:

    Anna, haha, nee, nicht erblasst. Mein Versuch Gerd Danigel zu würdigen. Ich war mit den farbigen Fotos nicht so recht zufrieden, irgendwie erschienen sie mir unpassend.
    Da hab ich's mal so gemacht.

    Binele, das freut mich, dass sie dir gefallen. Mir war ja erst gar nicht klar gewesen, das der Fotograf höchstselbst da steht.

  • Danke! (was mir alles zu deinem schönen Text und dem Fotografen durch den Kopf geht, kann ich nicht in Worte fassen)

  • Klickerklacker sagt:

    Hammer wieder

    das ist sehr schwer, finde ich, nicht den Schönen, Reichen, Gewinnern ein Forum und Platz zu geben, sondern den anderen.
    Gerade in letzter Zeit geht mir bei deinen Veröffentlichungen das Wörtchen "Würde" durch den Kopf.

    Da machst du was ganz Besonderes mit.

  • Anonym sagt:

    Bemerkenswerte Fotos und das Foto das du von Gerd Danigel gemacht hast, ist auch ganz besonders. Ein Auge schaut vorsichtig und skeptisch, das andere lächelt. Sowas einzufangen, muss man erst mal hinkriegen.
    Chapeau!
    Ulli aus Sbr.
    Und dem Kommentar von Kickerklacker schließe ich mich an

  • smilla sagt:

    Ulli, ja, das mit dem lächeln…immer wenn er gelächelt hat wollte ich schnell ein Foto machen…
    aber stimmt, wenn man genau hinsieht..

    und danke dir und klickerklacker! freu ich mich.

    Gerd Danigel hat hier übrigens auch einen Kommentar hinterlassen, hat er mir in einer mail geschrieben. Aber der ist leider nie angekommen, und das ist momantan nicht der einzige Kommentar, der bei blogspot verloren geht,
    ich wurde schon ein paar mal gefragt, warum ich die Kommentare nicht mehr veröffentliche.
    Tja, was kann ich tun, ich hoffe der Orbit rückt die Kommentare eines Tages wieder raus…

  • Marc sagt:

    @smilla
    Also für 18 Euro im Jahr kann man auch schon einen WordPressblog starten, der schön ist, alle erdenklichen Funktionen als PlugIns bietet, keine Kommentare wegzaubert und wahrscheinlich noch einfacher zu bedienen ist, als blo… äh, bevor der Kommentar hier auch noch verschwindet, schreibe ich was zu dem Eintrag:

    Wie viele Leute mag es geben, deren Fotografien so sehr Zeitzeuge sind, denen aber die Ambitionen, oder die Kontakte fehlen, oder deren Werk nie entsprechend gewürdigt wird. Wie schön, dass man heute nicht mehr nur abhängig ist von Redakteuren, Lektoren und Galleristen.

  • smilla sagt:

    Marc, ja, das mit WordPress ist sicher ne gute Idee, aber ich muss dann mit dem blog umziehen, und davor fürchte ich mich ein wenig..

    Und was du sagst ist sicher richtig, vermutlich gibt es so einige, deren Fähigkeiten und Talente nicht die entsprechende Würdigung erfährt (und umgekehrt)
    Sie werden ja manchmal immerhin spät entdeckt, wie Vivian Maier zb oder eben auch Gerd Danigel.
    Mich freut sowas.
    Überhaupt möchte ich Schagzeilen wie "die besten/schnellsten/schönsten" immer ergänzen mit dem Zusatz "die schon jemand an die Öffentlichkeit gebracht hat" (oder so ähnlich, ist jetzt nicht die brillanteste Formulierung, aber es wird glaub ich klar, was ich meine)

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