Quastenflosser

Beinahe ein Jahr ist es her, dass ich diese Dame schon einmal fotografiert habe. Trotzdem erkennt sie mich sofort wieder, als ich sie anspreche. „Wach“ habe ich damals als Überschrift gewählt, und das ist ein Eindruck den ich sehr deutlich wieder von ihr habe. Eloquenz, Feingefühl, Viel- seitigkeit, Humor und Klugheit. Das alles sind Worte die mir einfallen beim Versuch sie zu beschreiben. Aber den Klang ihrer Stimme und die Besonderheit ihres Aus- drucks kann ich doch nicht vermitteln. Das mag klingen wie eine Liebeserklärung, und in gewisser Weise ist es das auch. Sehr lange stehen wir beeinander und reden über alles mögliche, von dem einiges allerdings auch sehr privat ist. Und wenn im besten Falle ein Gespräch ein Austausch ist, aus dem man reicher hervorgeht als man hineingegangen ist, dann ist dieses ein sehr gutes Gespräch. Die Dame ist gern alleine und ihre Interessensgebiete sind vielfältig. Derzeit zum Beispiel setzt sie sich mit dem Klimawandel auseinander: „Drauf gebracht hat mich eigentlich der Quastenflosser. Das ist ein Fisch den es schon vor 70 Millionen Jahren gab und von dem man lange glaubte, er sei ausge- storben. Aber vor 75 Jahren, in dem Jahr als ich zur Welt kam, da hat man bei den Kormoren einen entdeckt. Nun frage ich mich, ob er den Klimawandel überleben wird.“
Almost one year ago I already took a photo of this lady. But she immediately recognizes me, when I approach her this time. „Alert“ was my headline at that time, and this impression she still conveys to me. Eloquence, sensitivity, versatility, humour and wisdom. These are the words which cross my mind, trying to describe her. But still I wouldn’t say anything about the sound of her voice, her special way of expressing. This may almost sound like a declaration of love, and indeed; somehow it is. For a long while we stand together on the street; talking about anything and everything; some of it is too personal to tell. And if at best a conversation is an exchange which leaves you „richer“ at the end, as you have been in the beginning, this is a wonderful conversation. This lady likes being on her own and her fields of interest are multifaceted. Currently, for example, she faces up to the climatic change: “ This all began with the coelacanth. That is a fish which exists since 70 Miillion years, and for a long time thought to be extinct. But 75 years ago, when I came into the world, they found one close to the Comors. Now I wonder if the coelacanth will survive the climatc change.“

„Sich mit einem Thema zu befassen, so dass es Spaß macht und man wirklich et- was erfährt, erfordert Zeit. Da muss man viel lesen, und sich informieren. Am bes- ten fängt man damit früh an.“ Alles mö- gliche auf das Rentendasein zu verschie- ben, das klappt nicht, da ist sie sich sicher. „Wenn Sie es als junger, besser noch als sehr junger Mensch nicht lernen, sich mit etwas wirklich zu befassen, dann wollen Sie sich das später auch nicht mehr antun.“ Weiter geht’s…
„To delve into a subject, so that it’s fun and makes sense, you need to spend a lot of time. You have to read a lot, get informed. Best you start veryearly in your life.“ To postpone all the things you want to do to the time of retirement; that won’t work, she’s certain about that. „If you didn’t learn how to really delve into something in your early life, at best in your very early life, you won’t brace up later either.“ Please follow…

Jeden Tag liest sie erst mal die Zeitung: „Manchmal sogar mehrere, wenn das Wetter sehr schlecht ist. Ich hab die Frankfurter, die Süddeutsche, den Spie- gel…na, und noch ein paar andere im Abo.“ Sie ist immer mit irgendetwas beschäftigt, und sie ist auch viel unter- wegs. Das letzte Mal als ich sie getroffen habe hatte sie einen Stapel Veranstal- tungsbroschüren bei sich. Sie geht in den Zoo, ins Konzert, ins Museum, in den bo- tanischen Garten. Und sie geht mit wachen Augen. Für die hat sie übrigens gleich mehrere Brillen: „6 Stück, alle griffbereit zuhause, in Leinentücher gewickelt. Die nehm ich je nach Anlass, natürlich auch nach Kleidung. Ich wechsele sie dauernd, das macht mir gar nichts aus.“ Die Brille, die sie heute trägt ist aus Holz, und ich darf sie aufprobieren. Nun seh ich zwar nichts mehr, nach Aussage der Eigentü- merin seh ich dafür aber toll aus damit.
Every morning she reads the papers: „Sometimes even several; if the weather is too bad for leaving the house.“ And she tells me a list of german papers and magazines, she suscribed. She’s always busy with something, and she’s quiten often on the way. When I met her last time, she had some event-brochures with her. She visits the zoo, concerts, the museum, the botanical garden. And she walks around with her eyes wide open. For them, besides, she has several pairs of glasses: „6 glasses, all close at hand, wrapped in linnen sheets. I choose them as needed, and of course to my clothes. I permanently change them, that’s totally fine for me.“ The glasses she wears today are made of wood, and she allows me to try them on. I’m not able to see through them, although they sit well on my face, she promises.

Gesundheit ist ihr wichtig; „…und gesund bleiben. Darauf hat man ja ein bisschen Einfluss.“ Sieht man von Huhn und Fisch ab lebt sie vegetarisch: „Im Winter koch ich immer Hühnerbrühe.“ Was für mich denn wichtig sei im Leben, fargt sie schließlich. „Bewegung, sowohl innen wie außen. Kein Stillstand.“ sage ich, und sinke mit Schul- tern und Kopf nach vorne, um zu erkären, was ich meine. Mit dieser Antwort ist sie erst mal nur halb zufrieden. Denn das hält sie eigentlich für selbstverständlich, wenn man das Leben geschenkt bekommen hat.
Health is of importance to her; „…and staying healthy. Luckily we have some influence on this.“ Except for chicken and fish she’s vegetarian: „During wintertime I often cook some chicken broth.“ Lastly she asks me what I consider important in my life. „Moving, inside and outside. No stagnation.“ is my answer, and I slouch my shoulders and head, to explain what I mean. Somehow she’s not really satisfied with this reply. Because that, she thinks, is self-evident, if life is given to you.

Ihr Mantel ist übrigens aus Wolle und Seide, über 40 Jahre alt und von Hermès. Die Holzbrille, seit einer Weile wieder mo- dern, hat sie seit mindestens 20 Jahren; so ganz genau weiß sie das nicht mehr.
Her coat, by the way is made of wool and silk, about 40 years old and from Hermès. Her wooden glasses, trendy again since a while, are hers for at least 20 years; she doesn’t know excactly anymore.

28 Comments

  • melina. sagt:

    ich bin überwältigt…

  • Julie sagt:

    von dieser reizenden dame sollte sich jeder eine scheibe abschneiden! und ich würde zusätzlich gerne mein halstuch so elegant binden können, wie sie…

  • Anonym sagt:

    der ganze artikel ist eine wunderschöne liebeserklärung, liebe smilla.
    diese begegnung, so scheint mir, scheint dich doch noch tiefer berührt zu haben als manch andere.
    ich hoffe, du triffst sie häufiger.
    alina

  • tanïa sagt:

    In ihrem Gesicht, in ihrem Blick ist so etwas wunderbar jungmädchenhaftes!

  • Anonym sagt:

    …Solch einen Menschen kennzulernen ist etwas ganz besonderes.

    Text und Bilder sind ebenso besonders.

    Eine "stille" Leserin

    Sabine

  • irina sagt:

    Wow, mal ganz abgesehen von ihren inneren Werten, mir gefällt auch die Oberfläche 😉 So stilvoll möchte man altern. Eigentlich bin ich überhaupt kein Hermès-Fan (halte das für eine Marke die hauptsächlich von Snob-Effekt lebt) – aber diese Dame wirkt, so wie sie den Hermès-Mantel trägt und kombiniert, auf eine sehr coole Art elegant. Chapeau.

  • Anna sagt:

    Witzig, ich habe das Gesicht gesehen, sofort gedacht: "Was für eine schöne Frau!" und sogleich gemutmaßt, dass sie gewiss eine ganz tolle Stimme hat (wobei ich ebensowenig in Worte fassen könnte, was für mich eine ganz tolle Stimme ausmacht…)

    Sehr originell, Dich zu fragen, was für Dich denn wichtig sei im Leben – danke Frau Für-mich-leider-namenlos! Das mit der inneren Bewegung kann ich gut nachvollziehen; was den äußeren Stillstand angeht, würde mir in Deinem Leben wahrscheinlich schwindelig werden… Für mich ist's gerade Luxus, still"stehen" zu DÜRFEN! So unterschiedlich kann's halt sein – das macht die Welt bunter! 🙂 War sie denn dann am Ende doch zufrieden mit Deiner Antwort? Und ein Foto von Dir mit ihrer Brille ist bestimmt wieder "nur" auf Deinem PC, oder?!

    Liebe Grüße

    Anna

  • Melancholia sagt:

    Eine sehr interessante Dame ! Wunderbarer Blog ! Freue mich immer auf neue Einträge !

  • smilla sagt:

    Anna, ja, das war sie noch am ende 🙂

    übrigens gibt es kein bild von mir und der brille…ich muss maich also ganz auf die einschätzung der Dame verlassen, hätte es selbst gern gesehen.
    denke schon ne weile über eine holzbrille nach.

    Taniia; nicht wahr? erstaunlich.

    alina, da iat was dran, mich hat wirklich vieles von dem was sie gesagt hat nachhaltig beeindruckt. aber auch schon letztes jahr. ich freu mich, wenn ich sie mal wiedertreffe.

    danke, sabine, dass du als "stille leserin" einen kommentar hinterlassen hast. das freut mich

  • Anonym sagt:

    hallo smilla,

    und ich finde du hast es mal wieder ganz toll rüber gebracht….anfangs sah ich das bild- und da war schon die frage- warum hat smilla diese frau vor der linse….und mit dem wie du sie beschreibst- kommt ganz viel von der persönlichkeit, der art und des denkens dieser so interessanten frau rüber.
    am ende hab ich den wunsch – diese frau kennen zu lernen- mich mit ihr auszutauschen- und wie du auch schreibst- reicher zu werden – durch diese begegnung.
    ich empfinde es fast als zauber- aus einem bild von einem wildfremden menschen – ein gefühl transportiert zu bekommen- daß mich anspricht- und sehr neugierig macht!
    ich lese deinen blog soo gerne.
    lieben dank dafür
    sabine

  • rebhuhn sagt:

    sie ist noch schöner geworden als beim ersten post. – nicht nur diese klitzekleine haarspange oben rechts im haar zeugt von witz und liebe zum detail. der knoten im tuch [ist es einer?!] von sorgfalt. sie ist ein mensch, von dem ich mir gern eine scheibe abschneiden möchte.

    ich kann mich dich sehr gut mit 'ner holzbrille vorstellen! 🙂

  • Martine sagt:

    Mein erster gedanke, was für eine schöne frau.
    Mein zweiter, was für eine schöne frau.
    XXXm

  • smilla sagt:

    rebhuhn, schön gesagt 🙂
    und das mit der Brille: mal sehen…

    Sabine; und wieder:danke sehr 🙂

  • Anonym sagt:

    sie ist letzte nacht durch meine träume geschwebt- alles andere als ein quastenflosser, so leicht, so altcharmant…..

  • Margit sagt:

    Ein wunderschöner Blogbeitrag. Vielen Dank Smilla.
    So, wie diese Dame möchte ich auch mal alt werden. Sich die Neugier auf viele verschieden Themen zu bewahren, egal, wie alt man ist, ist glaube ich ein Geheimnis, wie man sich auch im Alter fit halten kann. Ich habe eine Tante, die in 2 Wochen 90 Jahre alt wird, die lebt nach diesem Prinzip und das merkt man auch. Tolle Vorbilder, von denen es viel mehr geben sollte.
    Immer wieder Neues lernen, offen durch das Leben gehen, dass vermittelst auch du mit deinem Blog sehr gut. Ich freue mich auf weitere interessante Portraits.

  • Ich lese ja hier schon länger mit und wollte jetzt doch endlich mal wagen, ein Kompliment hier zu hinterlassen. Für die wunderwunderschönen Bilder *hutab* und die tollen Geschichten dazu. Eins A, wirklich!
    Liebe Grüße
    Nicole

  • Hatchipu sagt:

    DAS ist mal ein Vorbild !!! Und nicht diese ganzen Hollywood Chiksen ! =)

  • Zuhal sagt:

    Dieser wache, lebendige und warme Blick! Und in der Tat sieht man in der alten Dame auch das kleine Mädchen mit ihrer ganzen Neugierde. Ein Mensch, der das Leben zu leben scheint.

    Wunderbare Frau und wunderbarer Artikel. (Mal wieder :-))

    Vielen Dank

  • andra sagt:

    Hallo!
    Ich hatte in der letzten Woche ein Gespräch mit einer 84 Jahre jungen Dame, die sagte an der Kleidung von heute fehle ihr die Langlebigkeit eines Gewandes und dieser alte Matel von Hermes scheint mir dann endlich mal ein Gewand zu sein und nicht ein Stück Kleidung das schon in der Fabrik zerstört wird damit es den berühmten "used" Look hat.
    Bei meinen alten Jeans die noch zu Zeiten gekauft wurden als der Begriff stonewashed noch nicht existierter, erzählt jeder Flicken ein Stückchen Geschichte aus dem Leben und auch ein gut gepflegter Mantel erzählt davon…
    ein immer noch und immer wieder schöner Blog!!
    Lg andra

  • Anonym sagt:

    Wunderschön ist sie. Dieses vierte Foto, das ist… hach. Einfach toll.

  • smilla sagt:

    Hey alle zusammen, danke für eure netten Kommentare; sowohl zur schönen Dame, als auch zu meinem Blog 🙂

    hatchipu, du sprichst mir aus der Seele

    Andra, ja, tip top der Mantel; dabei ist er mindestens von 1970.

  • Catherine sagt:

    Großartige Frau, der man zu begegnen wünscht.
    Sie erinnert mich in ihrem waremn, interessierten und sehr sehr wachen Blick für das Detail und in dem wie du sie beschreibst an Pina Bausch. gleichwohl letztere vermutlich eher nicht so ohne weiteres mit einer fremden Fotografin gesprochen hätte. Oder vielleicht doch. danke für den tollen Blog, ich lese gerne hier. Und ich glaube, ich habe dich auch schon mal aus der Ferne beobachtet mit der Kamera.

  • rosadora sagt:

    da würde ich gern mal zugegen sein, wen ihr beide euch auf einen café trefft. interessante menschen in dem alter, es ist auch meines, gibt es nicht wie sand am meer. und wenn sie so lebendig sind, begeistert mich das ebenso wie dich.

    ganz schön wieder dein blog.
    rosadora

  • Anonym sagt:

    Was für eine wunderschöne Frau.

  • smilla sagt:

    oh drüberleben, herzlich willkommen hier im blog!

    rosadora, späte antwort, ich weiss, dennoch: ich würde sie auch gerne mal auf einen kaffee wiedersehen

    catherine, der vergleich zu Pina bausch ist sehr treffend. wenn du mich mal wiedersiehst sprich mich doch an, wenn du lust hast 🙂

  • Oona sagt:

    Beim Stöbern durch ältere Posts bin ich hier gelandet.
    Habe es genossen diesen Post zu lesen und nun zu wissen, dass es diese Frau gibt.
    75 Jahre! So drauf und gut aussehend.
    Das sind die Frauen, die mir Mut machen.
    LG
    Oona

  • smilla sagt:

    Oona, ja, ist sie nicht wunderbar? Ich halte immer Ausschau nach ihr, denn ich weiß nicht wo sie wohnt und nichts. Ich hoffe, dass ich sie einmal wiedertreffe!

  • Oona sagt:

    Wenn Du öfter an sie denkst und es dann losläßt, dann wird sie bestimmt bald um die Ecke biegen.
    Das wünsche ich uns dreien :O)

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