Parkplatz

Nicht alles was dieser Herr mir sagt verstehe ich; das hat zwei Gründe: zum einen spricht er eine Mischung aus türkisch und deutsch, denn Mustafa ist Türke. Zum anderen spricht er sehr schnell, sehr viel und ganz offenbar setzt er allerlei voraus. Zum Beispiel dass ich schnellen Themen- wechseln behende folgen kann, die für ihn selbst sicherlich leicht nachvollziehbar sind. Mustafa ist 1964 nach Deutschland gekommen und ist jetzt 81 Jahre alt. Er lebt auf der Straße und zeigt vage in eine Richtung: „Da hinten, bei dem Parkplatz.“ sagt er mit größter Selbstverständlchkeit, als wäre das der logische Platz für einen Obdachlosen. Warum er keine Bleibe hat erfahre ich leider nicht von ihm. Aber er erzählt dass er früher LKW`s gebaut hat; bei Humboldt-Deutz. In seinen Tüten hat er zahlreiche Papiere und Fotokopien. Einige davon sind total verblasst; ich kann auf einem gerade noch ein Bild von Helmut Kohl erkennen. Eine andere Kopie zeigt die Bild-Zeitung; Christian Wulff wird dort zitiert: „Der Islam gehört zu Deutschland.“ Das beschäftigt Mustafa sehr, und ich soll ihn unbedingt mit der Zeitung fotografie- ren. Hier geht’s weiter…
I don’t understand everything this man tells me, because of two reasons: he talks a mix of german and turkish, because Mustafa is turkish. And he speaks very fast, very much and he seems to expect me to easily understand all his quick topic-changes, which obviously are easily comprehensible to him. Mustafa came to germany in 1964 and he’s 81 now. His home is the street. He points at some vague direction: „There at the parkingplace.“ he says with obviousness, like this was the natural place to stay for a homeless man. Unfortunately he doesn’t tell me, why he is homeless. But he talks about his work for the company he was working for; as a truck manufacturer at Humboldt Deutz. In his bags he carrys quite a lot of copys and papers around, some of them are totally faded; on one I hardly can recognize a photo of Helmut Kohl. Another copy shows the papers of some days ago, quoting Christian Wulff: „The islam belongs to germany.“ This seems to be important to Mustafa; he definitely wants me to take a photo of it. Please follow…


Während ich bei Mustafa stehe kommen einige Menschen vorbei, die ihn begrüßen. Ein junger Mann bleibt stehen und wechselt ein paar Worte auf türkisch mit ihm. Ich bitte ihn zu übersetzen und fühle mich sofort nach Istanbul zurückversetzt. Aber statt zu verraten warum er auf der Strasse lebt fragt er den jungen Mann ob eine Frau M. noch neben ihm wohnt. Das tut sie, und Mustafa scheint beruhigt zu sein. Zum Abschied bittet er mich, ihm die Foto- abzüge zu bringen. Er möchte sie mir abkaufen, sagt er.
While I talk to Mustafa some people pass by and say hello to him. A young man even stops and talks to him in turkish. I ask him to translate for me, and immediately I feel like beeing in Istanbul again. But instead of telling why Mustafa is homeless, he asks the young man if Mrs. M. still lives beside his place. Yes, she dies, and Mustafa seems to be glad about this information. When I leave he asks me to bring him the photos. He wants to pay for them, he says.

29 Comments

  • Klickerklacker sagt:

    ganz oft bei deinen Geschichtchen denke ich"nee,wat schön!"
    hier heute denke ich:"hä?wat war datt denn?"

    aber wenn man die Blautöne auf den Bildern sieht und den gut ausgesuchtenKaugummiautomaten weiß man:dein Bauteam, Kostüm und Ausstattung haben wieder ganze Arbeit geleistet.

    scherz auf seite: verwirrend…

  • KÖLN FORMAT sagt:

    oh gott. das macht mich traurig. er ist 81 jahre alt und muss auf der strasse leben?
    das tut weh. im herzen. wo hast du gesagt hast du ihn getroffen?

  • Frau Auge sagt:

    Ach, liebe Smilla: Dein liebevoller Blick auf die Menschen wärmt mein Herz – ich muß es einfach mal so pathetisch hier hin schreiben…

  • rebhuhn sagt:

    boah. was für eine wucht. dieser mensch – und deine worte dazu… beEINDRUCKend.

    – ich bin gerade auch in einer sehr [zu] empfänglichen stimmung, glaube ich.

  • Ich bin gerade sehr gerührt von deiner Story und von Mustafa…

  • Liisa sagt:

    Und dafür, dass er auf der Straße lebt, sieht er sehr gepflegt und sauber aus! Wäre schon interessant, zu erfahren, warum er auf der Straße leben muss. Traurig ist das – niemand in dem Alter sollte gezwungen sein, auf der Straße zu leben.

  • Eva sagt:

    Hallo,

    ich bin gerade auf diesem Blog gelandet und habe ihn mir gleich gespeichert, da er mich sofort fasziniert hat: die ausdrucksstarken Fotos und die Geschichten dazu.

    Ich werde hier sicherlich wieder herkommen!

    Liebe Grüße,
    Eva

  • Anonym sagt:

    Ich weiß, Sie hören das sicher oft, aber ihre Fotos gehen mir so ans Herz, dieses ist wieder so, dass ich glasige Augen kriege…

    Herzlichen Dank für diese Einblicke in andere Welten.

  • Anonym sagt:

    wie gepflegt er doch aussieht, auch der bart…mmh. haette auch gerne erfahren warum er ohne obdach ist, manch einer zieht sich ja auch bewusst von der gesellschaft zurueck…da beginnt das gedankenkarussell. schoenen abend.

  • nora sagt:

    Liebe smilla,

    bisher immer *stumme* Mitleserin muss ich Dir nun doch einfach ein großes LOB und ein großes DANKE für deine Arbeit aussprechen. Es nicht nur eine tolle Idee, sondern deine Portraits gehen in und ans Herz.

    So im Besonderen auch Mustafa. Der Islam war bei Dir ja auch schon Thema und es geht mir einfach nahe, welches gesellschaftsliches Bashing da gerade umtriebig ist.. Man merkt Mustafas Interesse an Herrn Wulffs Rede an, wie wichtig ihm die Anerkennung des Islam in diesem Kontext ist. Mehr Toleranz… das wäre doch schön.

    ganz liebe Grüße,
    nora.

  • Oona sagt:

    Schade, daß Du nicht alles verstehen konntest!
    Berührende Geschichte und wieder klare Bilder.
    Grüße
    Oona

  • spinne sagt:

    Wunderschöne Bilder!

  • matamera sagt:

    Guten morgen – ich finde diese Geschichte wunderbar, jedoch nicht nur weil sie mich berührt, sondern vorallem, weil uns diese Menchen auch zweigen, wie wenig zum Leben gebraucht wird und wie verwöhnt wir doch alle sind. Er sieht doch irgendwie glücklich und zufrieden aus und hat auch Kontakte. Will er mehr? Will er anders Leben? Wir interpretieren viel zu oft aus falschem Mitleid? Schön, dass du so zum Nachdenken anregst.

  • Anonym sagt:

    ich würde ihm am liebsten mein gästebett anbieten.

  • Anna sagt:

    Guten Morgen, liebe Smilla –

    welch beeindruckende Persönlichkeit Du da wieder aufgespürt hast: Lebt selbst auf der Straße und sorgt sich um eine in der Nachbarschaft lebende Frau! Und will Dir die Fotos von ihm abkaufen (!)- ich wette, Du hast sie ihm gebracht und geschenkt!?! – Dieser Artikel passt schon hervorragend zu dem höchst beachtenswerten von Dir für diese Woche ausgerufenen Ehrenwort: "Wirtschaftsethik". (Hatte ich das jetzt richtig im Kopf und durfte ich es schon verraten?? Naja, wahrscheinlich schon – kann ja jede/r Interessierte auch schon nachschauen…) Und dann bringt Ihr beide mich noch in Berührung mit meinem Schubladendenken der beschämenden Art: Nie hätte ich ihm zugetraut, dass sich in den Tüten zahlreiche Papiere und Fotografien befinden! – Großes Kompliment an Euch beide!

    Liebe Grüße

    Anna

  • tanïa sagt:

    Bei diesem Beitrag kommt man wirklich ins Grübeln. Die Bilder stehen in einem merkwürdigen Widerspruch zum Text, er wirkt auf den ersten Blick so gar nicht obdachlos und ist es doch, mit 81! Und dann, mit diesem Wissen, wirken das 2. und das letzte Bild plötzlich sehr traurig.
    Bei solchen Geschichten wünschte ich manchmal, es gäbe eine Fortsetzung, am liebsten natürlich eine mit Happy End!

  • smilla sagt:

    oh, danke für all eure kommentare und gedanken, ich freu mich sehr darüber.
    Mir gehr so vieles durch den kopf dazu, und doch kann ich nach einem sehr langen und übervollen Tag kaum noch einen klaren gedanken fassen.

    Und, ja, eien fortseztung wünsche ich mir auch oft…
    ich werd morgen früh noch mal ein paar gedanken hier hinschreiben, die mir grade so kommen, für die ich aber jetzt wirklich zu müde bin, leider…

  • smilla sagt:

    Anna, natürlich verkaufe ich sie ihm nicht, ganz richtig. Ich hab sie ausgedruckt und in meiner Tasche, wenn ich ihn wiedersehe gebe ich sie ihm. Und dann frage ich ihn auch noch mal das eine oder andere, zum Beispeil wo er jetzt ist, wo e draussen so kalt wird. Vielleicht ist ja beim Parkplatz auch ein Männerwohnheim in dem er lebt?
    Mir gibt er genauso Rätsel auf.
    Und, Matamara, deine Gedanken kann ich schon nachvollziehen, wenn ich auch denke, dass es unwürdig ist mit quasi nichts auskommen zu müssen, und ich meine damit nicht würdelos, im Gegenteil. Die bereits erwähnte Schere ist mir dabei Dorn im Auge, die Ungerechtigkeit die ich empfinde.
    Mein Interesse gilt, wie ich immer wieder merke, oft den Menschen in den hinteren Reihen der Gesellschaft, weil in meinen Augen nicht nur die Reich-Arm Schere bei uns auseinanderklafft. Sndern auch eine seltsame Verteilung der Aufmerksamkeiten stattfindet.
    Menschen bekommen einen Fokus aus den seltsamsten Gründen, auch wenn dann nur heiße Luft kommt. Oder nicht mal die.
    Falsch verstandenes Mitleid ist auch ein interessantes Thema, denke ich. Wo fängt das an, wo hört es auf? Was lässt man an sich ran, wo schliesst man die Filter? Ich hab da keine fertige Antwort drauf, lege aber Wert darauf besonders Menschen wie Mustafa, oder auch

    Elvis und

    Hans

    nicht rührselig darzustellen, weil das auch nicht meine Stimmung ist, wenn ich mit ihnen spreche.

    Und Nora, ja, was du Bashing nennst finde ich auch höchst bemerkenswert. Die Macht der Medien wird allzu deutlich, gerade in diesem Kontext. Überall werden nun die Geschichten aus den schubladen geholt, die üblicherweise den schönen Stempel "latent aktuell" tragen, und für den ganz normalen Nachrichtenanwender, der dem ebenso normalen Alltag verhaftet ist, entsteht der Eindruck einer plötzlichen, rasanten Entwicklung, die natürlich bedrohlich wirken muss, und unglaubliche Meinungsmache begünstigt.
    So mit diesem wichtigen Thema umzugehen ist extrem verantwortungslos, besonders mit unserer Geschichte. Macht mich richtig wütend.
    Mit dem jungen Mann, der übersetzt hat, und ebenfalls Türke ist, habe ich darüber auch geredet. Er fühlt sich dikriminiert und pauschalisiert, bloß aufgrund seiner Herkunft, bzw. Abstammung.

    So, ich freu mich über Rückmeldungen 🙂

  • Kimmi sagt:

    Und du fotografierst einfach irgendwelche Leute und erzählst ihre kleine Geschichte?
    Deinen Blog verfolge ich.

    Dieser ältere Herr hat etwas sehr herzliches in seinen Augen finde ich. : )

    Liebste Grüße!
    http://www.mazeofillusion.blogspot.com

  • Elke sagt:

    Liebe Smilla,

    wie immer berühren Dein Foto und Deine Schilderungen. Es ist doch frappant, dass jemand, dem man gemeinhin das Interesse an öffentlichen Debatten abspricht (Ausländer, Obdachloser, die "klassischen" Stummen und Verstummten) so ein Interesse an den politischen Diskursen nimmt. Dein Beispiel zeigt, wie falsch viele Bilder sind, die im Umlauf sind.
    Ich freue mich sehr über diese "anderen" Blicke!
    Mit herzlichen Grüßen
    Elke

  • sandra sagt:

    bzw Abstammung bringt es auf den Punkt…die meiten die hier als Migranten oder Ausländer bezeichnet werden sind doch entweder Kinder von hier(na gut in Deutschland) geborenen Kindern oder halt hier geboren und eventuell schons elsbt Eltern.Wo sidn die immigriert? Die kneen doch bloss Deutschland und das die trotzdem ausgegrenzt werden.
    udn ich lebe zb in Brüssel udn soll meine Kultur weiterhin pflegen….sprich deutsch mit meienr ,Tochter reden,damit sie ja auch deutsch in Deutschland sprechen kann. Aber die gleichen menschen die sich das wünschen, fidnen es teilweise plötzlich nicht gut,das Kinder von 'andersabstämmigen Ländern' die Muttersprache der Eltern auch pllegen…
    ich persönlich fidne es ja schade, das ich die Sprache von meinem Vater nicht kann,weil ich von Anfang an nur bei meiner Mama aufgewachsen bin.(er kommt aus Sofia) Allerdings habe ich in der schule französisch gewählt,weil mein Vater in Paris lebt(e) und ich somit sehr intressiert an Paris war.

  • sandra sagt:

    das Fotos sit klasse(mit der zeitung….) Und auch die anderen ….am liebsten würde ich es zeigen mit link zu Dir,darf ich?

  • Hatchipu sagt:

    er ist so geheimnisvoll

  • smilla sagt:

    Kimmi, ja, das mach ich einfach 🙂
    schön, dass es dir gefällt

    Sandra, das ist interessant, dass deine tochter deutsch können soll, damit sie sich hier dann auch verständigen kann, was ja auch absolut kein verkehrter gedanke ist. Trotzdem ein interessanter hinweis auf die Wichtigkeit der Pesrspektive des Betrachters, bzw, wie nötig es ist, den eigenen Blickwinkel auch verlassen zu können, wenigstens mal kurz…zum abwägen…

  • Anette sagt:

    … ich frage mich auch, wieso dieser sympathische Herr mit 81 Jahren auf der Strasse leben möchte der muss? Und ja, die 2.Frage war gleich: Brauch er keine Jacke bei den Temperaturen? Bekommt er eine Jacke? Hat er eine Jacke?

    Liebe Grüsse, Anette

    Am Rande:
    Ich finde wichtig und richtig, die Muttersprache zu sprechen, aber auch die Sprache des Landes, in dem ich lebe!

  • Anonym sagt:

    Wow, endlich mal ein Blog der Sinn macht, einen zum Nachdenken bringt. Ich habe schon soviel Mist gelesen, Blogs von Leuten gesehen, die denken, Mode und Stil ist alles…aber es ist das Herz, das dabei sein muss. Und das erkenne ich bei ihnen sofort. Vielen Dank 🙂

  • smilla sagt:

    Anette; ja das frage ich mich auch, und ihn auch, wenn ich ihn sehe. Noch hab ich ihn aber nicht wiedergetroffen.

    Anonym, ganz herzlichen Dank! das freut mich sehr

  • Anna sagt:

    Hast Du ihn schon wiedergetroffen? Wenn ja, wie scheint es ihm zu gehen?

  • smilla sagt:

    Ich bin am Freitag an ihm vorbeigefahren, da hatte ich aber keine Zeit, nun weiss ich er hat eine warme Jacke, aber wie es ihm geht weiss ich nicht

Schreibe einen Kommentar zu sandra Abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

© Smilla Dankert 2019 | Impressum | Datenschutz