Ohne dieses Niederknien

„Wissen Sie, ich bin eine gläubige Christin. Das gibt mir Halt.“ antwortet Frau K. auf meine Frage, wie sie im Alter ihr Leben lebt. Frau K. ist 81 Jahre alt und war 45 Jahre lang berufstätig: „Als kaufmännische Angestellte.“ Sie fühlt sich fit, auch wenn sie kein Fahrrad mehr fahren kann: „Ich bin mein Leben lang Fahrrad gefahren, heute geht das nicht mehr. Ich fahre aber noch Auto.“ sagt sie und schlägt vor, dass ich sie neben ihrem Auto fotografiere.
Als Mensch, der zwar in einer christlich so­zialisierten Gesellschaft großgeworden ist, selbst jedoch keinerlei religiöse Erziehung  erfahren hat, wohnt mir eine tiefe Skepsis inne, die sich auf jede, mir nur schwer verständliche, Verehrung von Göttern und Gurus bezieht. Das äußere ich auch Frau K. gegenüber und formuliere, wie erschüt­ternd grausam ich beispielsweise das Bild des Jesus am Kreuz finde. Frau K. versteht was ich meine und teilt in gewisser Weise sogar meine Ansicht, wenngleich die Kreu­zigung an sich in ihren Augen einen zentralen Punkt des christlichen Glaubens darstellt: „Ich bin in einer freien Christen­gemeinde. Da haben wir kein Kreuz an der Wand. Ich muss das Kreuz nicht sehen, ich muss es innen fühlen.“ Frau K’s. Gemeinde orientiert sich am Alten Testament. „Bei uns geht es sehr einfach zu. Wir lesen Bibeltexte und beten, aber ohne dieses Niederknien. Das Bild des Kreuzes ist von Menschen gemacht, Gott wollte das nicht.“
Zum Abschied lädt Frau K. mich ein: „Kommen Sie doch einmal mit. Bei uns gibt es einige, mit denen Sie das Thema sicher noch erschöpfender diskutieren können“ sagt sie fröhlich und eilt behende davon.
„You know, I’m a believer. That gives me security.“ Mrs. K answers on my question, what her life is about at an older age. Mrs K. is 81 years old and she was employed for 45 years: „As a commercial employe.“ She feels fit although she wouldn’t ride a bike anymore: „I used to cycle a lifelong, that’s not possible anymore. But I still drive my car.“ she says, suggesting to take the photo in front of her car.
Though I grew up in a christian oriented society I wasn’t raised religiously myself at all. So I have to admit that I’m quite sceptical about any kind of worship of Gods and Gurus, which for me is even hard to understand. I tell all this to Mrs. K. and as an example I try to express the cruelty of the image of Jesus on the cross. Mrs. K. can understand that and she even sympathizes with my opinion, although to her mind the cruzifixion represents an essential point of christian belief: „I’m member of a free christian community. We don’t have a cross at the wall. I don’t need to see the cross, I must feel it inside.“
Mrs. K’s community refers to the Old Testament. „We are practising in a very modest way. We read the bible and we pray, but without this kneeling down. The image of the cross is made by humans, God didn’t ask for it.“
As we say goodbye Mrs. K. invites me: „You can come along once. There might be some, with whom you could have an even more detailed discussion on this.“

17 Comments

  • Nick sagt:

    What a friendly and lovable face. Frau K's peaceful and confident expression is the enviable one of many religious believers. And your position, Smilla, is expressed clearly and sensitively. Bringing up religion can be like opening up Pandora's box. In this case, though, it helps us to a greater empathy with Frau K.
    For the record, my personal 'beliefs', are those of an atheist.

  • Eine Frau mit Standpunkt.
    Nicht unbelehrbar.
    Freundlich.

    ♥ Franka

  • Anonym sagt:

    Dieses Portrait wirkt sehr, sehr ehrlich, irgendwie. Schön. 🙂

  • smilla sagt:

    Nick: thanks a lot for your understanding words. This was a bit complicated to write, as you can imagine.

    Franka, schön formuliert. 🙂

  • Oona sagt:

    Das Erste was mir dazu eingefällt ist "die Geschichte von Gott" von Hermann van Veen. Das Video dazu ist doof, also bitte nur hören aber nicht sehen. Woanders habe ich es von Hermann van Veen gesprochen nicht gefunden.
    Hörst Du hier, wenn Du magst.

    http://www.myvideo.de/watch/8402853/Eine_Geschichte_von_Gott_Herman_Van_Veen

    Auf der LP hört man nach dem letzten Wort noch eine Person langsam klatschen.

    Glauben ist Halt und für viele Menschen Kraftquelle und Zuversicht. Daran ist nichts "Falsches" wie ich finde. Spiritualität ist wichtig.

    Wenn allerdings eine Glaubensrichtung meint, sie wäre die einzig wahre Religion und andere Menschen müßten ihrem Glauben abschwören bzw. sich überhaupt einen zulegen, dann ist das meinem Empfinden nach nicht in Ordnung. Wenn aus Glauben der Same des Krieges kommt, dann läuft was falsch.

    Mir liegt der Buddhismus. Die einzige Erkenntnis-Religion. Das ist ein enormer Unterschied.

    Ohne dieses Niederknien
    ist ein interessanter Post-Titel.
    Ich fragte mich spontan: was kommt nun?? :O)

  • elbmarie sagt:

    schön, sowas mal in einem blog zu lesen/ zu sehen ;-)…. bin selbst auch Christ und erlebe diese Skepsis fast überall…
    – teile aber mein Christsein nicht über meinen blog….das eben auch aus den von Nick angegebenen Gründen …. dann lieber Auge in Auge… ;-))
    aber was kann mehr Beispiel und überzeugender sein als ein fröhlicher glaubender erfahrener Mensch ??
    Danke für Deinen post und das Foto ;-))
    LG Sabine

  • smilla sagt:

    Oona; "…eine Person langsam klatschen…". das lässt Platz für eigene Interpretationen…
    Nur eine? Langsam, weil zögerlich?

    Ich gebe dir vollkommen recht; Spiritualität, wie auch immer wiederum dieses Wort jeder für sich allein definieren mag, ist wichtig. Glauben, woran auch immer, auch.
    Ich persönlich tu mich schwer damit, Religion als Maßgabe anzuerkennen.
    Und nicht erst seit eben frage ich mich, wie dieses grausame Jesusbild hingenommen werden kann.

    Trotzdem; manche Menschen werden Mönch. So ist das, wer wäre ich, das zu verurteilen, um es mal pathetisch zu sagen.
    So kritisch ich persönlich die Kirche und alles was dazu gehört auch sehe.

    Es ist ein schwieriges Thema. Von Kindesbeinen an hatte ich Angst vor religiösen Fanatikern. Im Geschichtsunterricht über Hexenverbrennung und Teufelsaustreibungen konfrontiert zu werden hat mich gleichermaßen fasziniert wie schockiert.
    Fanatiker mit allem, was in meinem Leben Kommunikation ausmacht, nicht erreichen zu können, erschien und erscheint mir brutal beängstigend. Ausdrücklich egal welcher Glaubensrichtung.

    Sabine, überzeugend inwiefern? In dem Sinne, dazu "zu stehen" auch wenn skeptische Blicke kommen? Ich bin übrigens immer ganz froh, wenn ich Menschen treffe, die gläubig sind und denen ich meine Fragen stellen kann.

  • Christjann sagt:

    Ich finde zwar auch, dass der gekreuzigte Jesus in den Kirchen eine falsche Botschaft gibt, denn die Auferstehung ist doch die gute Botschaft, und die Liebe – bin aber nach viel Suche, Austritt aus der Kirche und Abwendung von allem Religiösen, Antworten suchend in der Psychoanalyse – irgendwann doch wieder bei Gott gelandet. Habe vielleicht meine eigene, freiere Spiritualität gefunden – verankert in meiner katholischen Basis. Niederknien ist wie alles, was "ohne Sinn" geschieht, nur eine leere Geste. Ich konnte das früher auch nie ertragen, mich so zu erniedrigen – aber es gibt Momente im Leben, wo das Niederknien vor Gott passt.

    liebe Grüße
    Christjann

  • Muriel sagt:

    Hm.
    Das Kreuz an sich gehört ja zu den wenigen Dingen, die mich am Christentum nicht stören, und Niederknien finde ich als Geste eigentlich sehr schön.
    Aber das Portrait gefällt mir jedenfalls auch.

  • Anna sagt:

    Bin nicht ganz den gleichen Weg gegangen. Welchen Weg stattdessen, fällt mir gerade schwer, hier aufzuschreiben… jedenfalls einen mit auch einigem Hin und Her zwischen sowohl versuchter Anpassung an als auch Abwehr von religiös betonten Lebensentwürfen, die mir begegneten und irgendwie sogar reizvoll erschienen, die ich dann aber doch für mich nicht leben konnte und wollte… Dennoch kann ich dieses: "…aber es gibt Momente im Leben, wo das Niederknien vor Gott passt." letztlich doch sehr bejahen, egal ob ich dieses Höhere, was ich dann empfinde, "Gott" oder irgendwie anders nenne. Für mich geht es dabei aber nicht um ein "sklavisches" Niederknien, sondern einfach um das – in manchen Lebensmomenten besonders spürbare – Empfinden, dass der Lauf der Dinge, auch der meiner ganz persönlichen Dinge, nicht (allein) in meinen Händen liegt, sondern in "etwas Höherem" (gut) aufgehoben ist.

  • mona sagt:

    Ein schönes Portrait!

  • elbmarie sagt:

    HAllo ich nochmal….
    Überzeugend insofern, dass es sich lohnt ein leben im Glauben "durchzuziehen", weil es hält…. Das meinte ich… Wobei da jeder seinen eigenen weg hat und geht…. Aber ich höre gerne Lebensgeschichten um zu lernen für meins und gerade deshalb bin ich hier in deinem Blog gelandet…. Mochte dies " Ding " Menschen zu sehen…. Alles unterschiedlich, mit eigenen Geschichten…. Und alle soooo verschieden…. War beeindruckt , ds du das als Blog dokumentierst…. und ehrlich gesagt auch den MUMM hast immer wieder dein Anliegen zu erklären und wildfremde um ein Bild zu bitten…..
    Nochmal zum Thema…. Mich beeindrucken Menschen, die im Alter, und da wird es nicht leichter Glauben zu leben, weiter Glauben und das weitergeben…. Das als Beispiel imponiert mir… Da möchte ich hin… Aber das Leben ist bei jedem anders…. Ich arbeite dran, mal mehr mal weniger, mal erfolgreich, mal weniger….
    Aber eins noch…. Wieso "anders anziehen "? da hatte ICH, die ich selber aus der Modeindustrie komme, einen Modeblog vermutet, aber das trifft es ja so gar nicht…. zum Glück wie ich finde….also das wurde mich schon noch interessieren…. Oder hast du das irgendwo mal erklärt??
    LG nach Kölle Sabine vom Rheinland aus im Norden gelandet

  • Christjann sagt:

    Liebe Anna,

    ja,für mich hatte es damit zu tun, dass ich mich in die Hände von einer höheren Macht (sagen wir mal so) gab – ich kann micht mehr – mach du bitte – und das Wundersame war, ich fühlte mich gehalten.

  • Frau S. sagt:

    Ein tolles Portrait. Ich mag den sehr festen Blick von Frau K. Eine starke Frau, die weiß wer sie ist.
    Viele Grüße

  • Anna sagt:

    Liebe Christjann,

    ja, genau!

  • Martina sagt:

    Toll! Komplett begeistert! Ein toller Blog, den ich super geil finde und imemr wieder besuchen komme! Ich finde imemr wieder tolle Anregungen! Weiter so…!
    Lg Martina

  • LOLLO † sagt:

    hallo meine Liebe 🙂
    Hast du vielleicht lust bei meiner blogvorstellung mitzumachen?
    würde mich sehr freuen! :*
    Alles weitere und die teilnahmebedingungen hier:
    http://fragrance-of-roses.blogspot.de/2012/07/28.html
    DANKE SCHONMAL ♥

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