Nähe und Distanz

Olga habe ich bei meiner Karnevals-Foto-Safari an Weiberfastnacht getroffen; sie war als Black Swan verkleidet und hat am Aachener Weiher in der Kölner Innenstadt gefeiert. Vor zwei Tagen haben wir uns wiedergetroffen. Diesmal mit mehr Zeit und ohne Verkleidung.

Nach dem Abitur ist Olga von Bochum nach Köln gezogen. Das war vor knapp 6 Jahren. Sie wusste erst mal nicht recht, was sie machen möchte. Probehalber hat sie ein bisschen losstudiert, aber dann hat sie sich für ein freiwilliges soziales Jahr beim Roten Kreuz beworben: „Die haben sich auch schnell gemeldet und mich zum Gespräch eingeladen.“ Ein halbes Jahr hat Olga in einer Förderschule gearbeitet, ein halbes Jahr in einer integrativen Waldorfschule, und sie war auch kurz in einem Altenheim. Die Arbeit hat ihr gut gefallen: „Ich wusste dann einfach, dass es das ist was ich gerne machen möchte“.

Also hat Olga eine Ausbildung begonnen, die sie im vergangenen Herbst abgeschlossen hat. Sie ist nun Heilerziehungspflegerin und arbeitet in einer Wohngruppe in der Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen leben: Menschen mit körperlicher, geistiger oder psychischer Behinderung, manche auch mit Schwerstmehrfachbehinderung. Die Wohngruppe damit beschreiben zu wollen wäre allerdings etwas eindimensional: Olga definiert die Bewohner ja nicht über ihre Behinderung: „Es sind einfach Menschen – alle mit einer eigenen Persönlichkeit.“

Wie viele Berufsbezeichnungen bleibt auch Olgas Beruf für mich zunächst abstrakt – deswegen frage ich nach. Olga sagt, der Name lade tatsächlich zu Fehldeutungen ein: „Viele denken bei Heilerziehungspflegerin sofort hauptsächlich an Pflege, bzw. an pflegerische Tätigkeiten, eben weil das Wort da drin steckt.“ Dabei ist dies nur ein Aspekt von Olgas Arbeit – und auch für die Menschen in der Wohngruppe ist Pflege nur ein Aspekt in ihrem alltäglichen Leben.

In der Wohngruppe in der Olga arbeitet leben 8 Menschen zusammen. „Ich biete Unterstützung bei alltäglichen Dingen. Dazu gehört natürlich auch dass ich beim Zähneputzen, beim Waschen oder oder beim Anziehen helfe.“ Morgens begleitet Olga den Start in den Tag: „Alle aus der Wohngruppe gehen arbeiten; in unterschiedlichen Werkstätten.“ Tagsüber, wenn die Bewohner bei der Arbeit sind, ist Olgas Arbeit eher administrativ: sie schreibt Anträge oder Berichte und kümmert sich um allgemeine organisatorische Belange. Wenn alle wieder zuhause sind findet in der Wohngruppe ganz alltägliches statt: „Die eine hört Musik, der andere kocht sich eine Kanne Tee, manche gucken fern. Was man eben so macht nach der Arbeit. Wichtig ist, dass man Halt und Struktur bietet.“ Man spricht miteinander, Olga fragt nach, wie der Tag war: „Wenn jemand nicht sprechen kann, dann geht es eben über Reaktionen. Da erfährt man auch viel.“

Wenn Olga anderen Menschen von ihrer Arbeit erzählt, hört sie oft den gleichen Satz: „Viele sagen: ‚Ich könnte das nicht‘.“ Oft ist an der Stelle das Gespräch darüber auch schon beendet.
Was genau sie damit meinen weiß Olga nicht: „Ich glaube, viele haben einfach Angst, sie wollen das einfach nicht sehen. Sie wollen nicht sehen, dass es Menschen mit Behinderung gibt. Und man sieht sie ja auch nicht. Im Alltag, in der Öffentlichkeit begegnet man doch kaum Menschen mit Behinderung.“
In den Niederlanden und in skandinavischen Ländern sei das anders, erzählt Olga. Dort sei der Umgang mit Menschen, die eine Behinderung haben, viel unverkrampfter. Ein Freund von Olga ist Niederländer. Als sie ihm einmal erzählt hat, was sie in der Ausbildung so lernt, war er sehr erstaunt: „Der hat mich fast ausgelacht. Er meinte: ‚Wie, das müsst ihr lernen? Umgang mit Menschen?‘ “

Olga mag ihren Beruf: „Eigentlich sollte es doch der natürlichste Beruf der Welt sein. Anderen helfen. Was ich tue macht einfach Sinn.“
Schwierig daran seien eigentlich nur die Umstände, sagt Olga: Schichtdienst, der nicht mal in sich eine Routine hat: Mal beginnt ihre Arbeit um 6:00, am Tag drauf um 14:00 und einen Tag später wieder um 6:00 Uhr. Das bringt Unruhe, und es ist auch körperlich anstrengend. „Das macht es schwer Freundschaften zu pflegen. Oder wenn man Kinder und eine Familie hat – dann ist man einfach auf mehr Regelmäßigkeit angewiesen. Deswegen geben viele den Beruf auch wieder auf.“

Es ist wichtig, dass man nicht nur für den Beruf lebt,“ sagt Olga. „Es heißt ja immer, man soll nichts von der Arbeit mit ins Privatleben nehmen. Gerade in sozialen Berufen. Aber ich arbeite mit Menschen. Natürlich beschäftigt einen das innerlich.“

Nähe und Distanz – die richtige Mischung zu finden bleibt eine Herausforderung. „Mein Beruf erfordert auch viel Selbstreflektion. Ich lerne viel bei der Arbeit – auch über mich.“
Früher hat Olga viel gesungen: sie hatte Einzelauftritte und hat auch mal kurz in einer Band gesungen. Heute singt sie immer noch, aber eher für sich alleine: „Und ich hab angefangen Ukulele und Gitarre zu spielen. Das ist schön und hilft einfach abzuschalten.“

Als wir an einer Schaukel vorbeikommen mache ich dort ein paar Fotos von Olga. Anschließend schaukeln wir beide ein bisschen herum. „Schaukeln ist eigentlich auch ein schöner Ausgleich,“ sagt Olga.


Olga als Black Swan an Karneval

4 Comments

  • Astrid Ka sagt:

    Ich finde es gut, dass du hier einem Menschen ein Forum bietest, der einen solchen Beruf hat. Gemessen an all dem, was sonst in unserer Gesellschaft als wichtige Arbeit erachtet wird, bleibt die, die dem Menschen unmittelbar – von Ausnahmen abgesehen – dient, eher unsichtbar.
    Schön, dass Olga vom Typ her und wie sie sich anzieht, nicht übersehen werden kann.
    Ich wünsche ihr von Herzen, dass sie die richtige Balance findet zwischen Beruf und Privatheit. Ich weiß selbst, dass das sehr schwer ist ( und bin letztendlich auch daran gescheitert ).
    LG
    Astrid

  • Anna sagt:

    "… und auch für die Menschen in der Wohngruppe ist Pflege nur ein Aspekt in ihrem alltäglichen Leben." – Wäre ja auch schlimm, wenn's anders wäre!

    Was Olga über "Behínderung nicht sehen wollen" sagt, glaube ich leider auch. Aber dass man Menschen mit Behinderung wirklich kaum sieht? Okay, ich war nur als Kind ein-/zweimal in den Niederlanden und in Dänemark, und Köln kenne ich auch nur von ein, zwei kurzen Aufenthalten – also kann ich nicht beurteilen, wie das dort jeweils ist. Ich finde aber, wenn man hier (in meinem Fall: Bielefeld) die Augen offen hat, sieht man auch in der Öffentlichkeit durchaus Menschen mit Behinderung(en). Aber vielleicht liegt meine etwas andere Sichtweise daran, dass ich eben selber so eine Mensch mit (körperlicher) Behinderung bin.?

    Mir scheint, Olga ist genau richtig gelandet in ihrer Arbeit. Bessere Arbeitsbedingungen, z. B. zeitlich, aber auch finanziell und überhaupt anerkennungsmäßig wären ihr und all ihren Kolleginnen und Kollegen in der Tat zu wünschen!

    Viel Spaß beim Schaukeln beizeiten, Olga und allen, die darin einen guten Ausgleich zur Arbeit oder zu was auch immer finden!

  • lisa kötter sagt:

    was für ein wunderbares portrait einer starken jungen frau! so tolle augenblicke auf den fotos, so eine aussgekräftige auswahl aus eurem gespräch! olga ist auch ein toller name, er passt gut zu ihr. hört sich geerdet und weise an:-)
    viele herzliche grüße
    von lisa

  • Rebekka. sagt:

    Sehr interessantes Gespräch, danke, Smilla und Olga! Ich hab viele Favoritenfotos, zB das unter dem Fenster, wo der Schal in der abblätternden Farbe wiederholt wird oder das, auf dem Olga im Fokus, aber mit geschlossenen Augen zu sehen ist – wie ein Fels in der Brandung, der sie ja auch für die Bewohner in gewisser Hinsicht sein muss. Toll!

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