l’héroïne

 

Manche Menschen spreche ich so spontan an, dass ich selbst ganz überrascht bin. „Hallo…“ höre ich mich dann sagen, oder „Guten Tag, entschuldigung…“ während ich ‚Huuch‘ denke und mich erst mal flott neu orientieren muss. Die Überraschung meines Gegenübers ist vermutlich noch ein bisschen größer, aber es herrscht dann dies­bezüglich immerhin so etwas ähnliches wie Gleichstand. Um so schöner also, wenn sich gleich hernach mit Leichtigkeit auf kurzen Wegen ein Gespräch entwickelt, das dem Small Talk gewissermaßen einen Platz am Katzentisch zuweist.

Anne Marie ist kurz vor Ladenschluss auf ihrem eiligen Weg noch ein paar Einkäufe zu tätigen, als ich uns beide wie beschrie­ben überrasche und sie anspreche. Warum ich sie fotografieren möchte, fragt Anne Marie. „Weil Sie so besonders aussehen.“ antworte ich, und weil ich es auch gerade nicht besser erklären kann füge ich hilflos noch etwas an wie „Toll“ oder „Schön“, während ich hoffe, dass Anne Marie mir meinen Jeans-Look verzeiht, der mir neben ihr beschämend nachlässig erscheint.

„Ach, alle Menschen sehen doch besonders aus,“ antwortet Anne Marie, und ich schmecke ihren Worten hinterher, ob darin wohl Koketterie verborgen sei. Aber nein, sie meint das wirklich. Dann zeigt Anne Marie auf eine Frau, die vorübergeht und sagt: „Die sieht auch besonders aus.“ „Mag sein,“ erwidere ich, „aber wie soll ich sagen, sie spricht mich nicht an.“ Das Besondere, das Schöne ist am Ende eben doch eine recht subjektive Angelegenheit.
„Ich falle gerne auf und ich steh auch gern im Mittelpunkt.“ sagt Anne Marie,  „Ich genieße das. Und ich zieh mich gern schön an.“ Heute sei sie übrigens ganz normal gekleidet, es sei nämlich ihr freier Tag: „In dem Kleid putz ich auch die Wohnung.“
Anne Marie arbeitet in einer Boutique, die passenderweise den Namen l’héroïne trägt.
Ich selbst, erkläre ich, lege es eher wenig darauf an aufzufallen: „Das irritiert mich nur und strengt mich an.“ sage ich: „Und überhaupt habe ich auch nicht viel Kleidung. Manchmal fürchte ich, dass ich deswegen auffalle … naja, so ist das bei mir.“ Anne Marie versteht, sie nickt und lacht und wirkt dabei, als sei bei ihr im Mittelpunkt noch reichlich Platz für andere.

 

Anne Marie lebt und arbeitet mitten in Brügge, nur einen Steinwurf entfernt vom Marktplatz, dem touristischen Epi-Zenrum der Stadt. Ob ihr das nicht manchmal ein bisschen viel sei, mit all den Touristen, frage ich. „Ganz ehrlich?“ sagt sie: „Manchmal schon …“ Ich frage was sie gerne anders hätte, ob es etwas gibt was sie gern ändern würde: „Oh, was soll man ändern? Es ist nichts falsch an den Touristen. Sie gehören dazu, sie machen, was Touristen eben machen. Man kann niemanden ändern. Man kann nur sich selbst ändern. Vielleicht muss ich also meine Einstellung dazu ändern. So sehe ich das.“

Interviews enden meist mit der Floskel: „XY, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.“ Meist verstört mich dieser Schlusssatz, aber heute schreibe ich ihn auch: Anne Marie, ich danke Ihnen für unser Gespräch!

 

11 Comments

  • ZeitenSprung sagt:

    Was für ein markanter wunderschöner Haarschnitt.
    Das ist das Erste das mir durch den Kopf schießt.

  • Anonym sagt:

    Ich liebe deine fotostorys… sehr elegant und charismatisch die heutige protagonistin.
    ich glaube ich wäre nicht so mutig im menschen ansprechen…bekommst du öfters einen korb? Es gehört ja auch mut dazu sich einer fremden person so spontan zu öffnen. schöne grüße von katja

  • Geisslein sagt:

    Diese Lady wäre mir auch aufgefallen. Schön geschrieben auch, schöner Post!
    Herbstliche Grüße, geisslein

  • Anna sagt:

    Von mancher Leute Mischung aus wie es scheint echtem Selbstbewusstsein und gleichsam echter Toleranz kann und sollte man wahrlich noch etwas lernen!

  • smilla sagt:

    Nein, sehr häufig passiert das nicht, dass Menschen ablehnen. Aber es passiert schon immer mal wieder und manchmal finde ich es wirklich jammerschade, aber ich möchte auch niemanden überreden, also akzeptier ich es dann und gut..
    Ich bin aber, wie beschrieben, auch immer sehr erstaunt und froh, was alles paasiert, wenn man die Menschen einfach anspricht.. Eigentlich ist es gar nicht so schwer ins Gespräch zu kommen..

  • smilla sagt:

    naja, vermutlich bringt 'echtes Selbstbewusstsein' auch die Fähigkeit zur Toleranz mit.

  • christine sagt:

    Wirklich eine interessante selbstbewusste Frau mit tollen Lachfalten hast du da wieder angetroffen.
    Danke euch Beiden……
    LG
    Christine

  • Anonym sagt:

    Hey 😉

    erst mal: dein Blog ist echt klasse, ich glaube, ich hätte nie den mut einfach so Leute auf der Straße anzusprechen 😀 Ich zieh mich auch nicht normal an, aber ich glaube ich wäre nicht so stolz wie Anne Marie wenn man mich deswegen ansprechen würde 🙂
    Auf jeden Fall vielen Dank für deine Mühe, die du dir machst, die Stories mit uns zu teilen 🙂 Und danke, dass sie übersetzt sind *lach*

    LG
    Riki (aus Mission, BC, Kanada)

  • Oona sagt:

    Lese mich brav von hinten nach vorne durch seit dem 20.8., wie Du sicherlich an den Kommentare gemerkt hast. Die ganze Zeit warte ich schon darauf hier anzukommen.
    Anne Marie strahlt so schön. Gern hätte ich mehr von ihr gelesen.

  • Anonym sagt:

    auf jeden fall eine interessante frau und noch immer sehr hübsch – diese annemarie

  • Oona sagt:

    Moin Smilla,
    ich durchsuche gerade Deinen Blog nach den Kurz-Portraits aus früheren Tagen. Und bin wieder hier hängengeblieben. Es ist schön, dass eine oder andere Foto von interessanten Menschen zu sehen.
    Und wieder bin ich angetan davon, was doch jeder einzelne Mensch für eine spannende oder bewegende Biografie hat.
    Das freut mich einerseits, denn es zeigt die Vielfalt und die Möglichkkeiten.
    Andererseits (der kleinere Teil) macht es mich traurig, dass ich aus meinen Leben nicht viel gemacht habe.
    Ich lese weiter hier und da bei Dir.
    Erfreue mich an Deinen besonderen Fotos und der schönen Art, wie Du die Dinge aufschreibst bzw. die getroffenen Menschen beschreibst. Aus Deiner Sicht.
    Oona

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