Einen Bart wie meine Freundin

 

Seit sieben Monaten sind Jan und Liselotte Ladenbesitzer. The Lodge Bruges heisst ihr Geschäft, und es befindet sich auf der Lange Straat in Brügge. Kaum 800 Meter vom Markt entfernt ist vom dort routine­mäßigen Menschenstrom hier kaum etwas zu spüren. Statt dessen bietet das Viertel rund um die Lange Straat eine Ahnung vom normalen Leben in Brügge; einem Alltag in dessen Mittelpunkt nicht ausschließlich das Grundrauschen der Tou­risten eine Rolle spielt.

Was romantisierende Individualfanatiker wie mich erfreut kann man allerdings auch anders sehen. Gegen ein paar fremde Be­sucher mehr hätten die ansässigen Geschäf­te nämlich gar nichts einzuwenden. „Ein Laden im Zentrum ist unbezahlbar.“ sagt Liselotte. Aber es sind nicht nur die sprich­wörtlichen  Kirschen, die dem Fuchs zu sauer sind, die Jan und Liselotte zur Lange Straat gezogen haben: „In dieser Strasse gibt es alles; Cafés, Geschäfte, wir haben zwei Sternerestaurants, da fahren hier manchmal sogar Bentleys vorbei, wir haben eine richtig tolle Nachbarschaft und es gibt hier Menschen wie ihn.“ sagt Liselotte und zeigt auf einen Mann, der gerade mit seinem Fahrrad vorbeischiebt. Er hat einen seltsam bunten Hut auf dem Kopf, sein Rad ist skurril geschmückt, und es ist schwer einzuschätzen, ob er wohl in dieser oder aber einer anderen Welt unterwegs ist.

Im Laden von Liselotte und Jan steht wohl­platziert ein Sofa und lädt zum Bleiben ein. Nein, eigentlich sind es Jan und Liselotte, die zum Bleiben einladen, das Sofa ist nur ein Symbol und eine Möglichkeit. Ich weiß das, denn ich habe nicht auf dem Sofa gesessen und bin trotzdem lang geblieben.

Der Langen Straat wollte ich mich an ei­nem Montag widmen, in völliger Unkennt­nis der Tatsache, dass Montags fast überall geschlossen ist. Der Montag ist in Brügge quasi der Sonntag, wie ich erst lernen musste. Also habe ich am Dienstag einen zweiten Anlauf genommen und mich plötz­lich erneut vor dem Schaufenster mit dem wunderschönen Jeans-Hemd wiedergefun­den.

Jeans – oder Denim – das ist bei Jan und Liselotte das Material der Wahl. Neben wenigen bekannten Marken führen sie vor allem Labels, die schwere Jeansstoffe hoch­wertig verarbeiten und dabei Schnitte aus den 30iger bis 50iger Jahren auf­greifen; z.B. belgische  Jeans von ‚Eat Dust‘ oder Modelle von den ‚Pike Brothers‘, die ganz frisch auch eine Kollektion für Frauen im Programm haben: ‚Anne Shepard.‘

Was alle Labels vereint, ist dass sie schwe­ren Raw Denim verarbeiten, der sich zu­nächst ein wenig unpersönlich, ja sogar unzugänglich gibt. Und das ist auch der Sinn der Sache: eine Hose oder Jacke aus diesem robusten Stoff muss, nein, darf man selbst mit Leben füllen. Der liebe Gott schickt einen ja auch nicht mit Falten auf die Welt, salopp gesagt.

Bevor Jan und Liselotte sich entschieden haben, gemeinsam ein Geschäft zu eröff­nen, waren sie beruflich ganz anders auf­gestellt. Liselotte hat in Brügge freie Kunst studiert, und Jan hat lange im Baugewerbe gearbeitet. Das war aber kein Job, der ihn wirklich glücklich gemacht hat. Nebenbei hat er in einer Motorrad­werkstatt gear­beitet, denn alte Motorräder sind seine Leidenschaft. Er selbst besitzt eine Triumph 1886, die derzeit das Schaufenster des Ladens ziert.

Lielottes Leidenschaft sind Autos aus ver­gangener Zeit. Über dem Laden befindet sich nicht nur die Wohnung der beiden, dahinter ist auch noch eine Garage. Dort steht Liselottes Ford Shoebox von 1951. „So ergänzen wir uns prima, ich weiß viel über Autos, Jan fast nichts, dafür kenn ich mich kaum mit Motorrädern aus.“ Beide lieben und leben den Stil der 30iger bis 50iger, egal ob es um Mode, Autos oder Möbel geht.
„Es darf nur nicht zur Maskerade verkom­men.“ sagt Jan, der kein Freund von preiswerten Stil-Imitaten ist, denen keine Seele innewohnt.

Die Entscheidung gemeinsam einen Laden zu eröffnen hat beide natürlich auch Mut gekostet. Seit gut eineinhalb Jahren sind sie ein Paar. In dieser Zeit sind sie enorm zusammengewachsen, denn Jan war lange krank. Nach akutem Leberversagen ist er ins Koma gefallen  und sein Leben stand auf dem Spiel. „Das war natürlich eine schwere Zeit,“ sagt Jan. „Am schwersten war es für Liselotte und meine Familie, ich habe ja im Koma nichts mitbekommen. Aber sie wussten nicht, ob ich das über­leben werde.“ Schließlich ist ihm eine neue Leber implantiert worden, die sein Körper gut angenommen hat.

Jan hat eine tiefe, volle Stimme, die mit­ten aus dem Bauch zu kommen scheint, und er spricht mit Ruhe und Bedacht: „Natür­lich habe ich mich danach gefragt, was ich eigentlich will vom Leben. Ich hatte ja die zweite Chance bekommen.“
Jan ist froh und auch dankbar; für sein Leben mit Liselotte, für den Laden und für die neue Leber: „Ich darf nun keinen Alkohol mehr trinken, aber das ist ja wohl ein leichtes Opfer.“ Und Liselotte lacht und sagt: „Er muss immer fahren, wenn wir ausgehen, sehr praktisch.“

Seit einer Weile trägt Jan einen Schnurr­bart, der ihn morgens genau zwei Minuten Pflege kostet, wie er sagt. Liselotte hat auch einen Bart; den hat sie sich auf den Finger tätowieren lassen. Das war vor so vielen Jahren, dass sie es gar nicht mehr genau sagen kann; als ich frage winkt sie nur vage in die Luft.
„Ich wollte auch so einen Bart,“ sagt Jan. „Einen Bart wie meine Freundin.“

Lieber Jan, liebe Liselotte, am Montag wird euer Laden sieben Monate alt. Ich wünsche euch das Allerbeste und freu mich immerzu über mein Jeans-Hemd, das ich bei euch gekauft habe!

Wer ein bisschen mehr über Raw Denim lesen möchte wird beim Schraubergott fündig. Dort kann man sich prima von Artikel zu Artikel hangeln. (Die blöden Mädchen- und Muttikommentare am Rande muss man großzügig ignorieren, ph …)

Nach Brügge wurde ich von Flandern Toursimus eingeladen, die freundlicherweise meinen Aufenthalt und die Anreise bezahlt haben. Vielen Dank dafür!

10 Comments

  • Anonym sagt:

    Toller Bericht.
    Ich ziehe den Hut vor den Menschen die den Mut haben einen Laden zu eröffnen…*icktraumirnich*
    Den "Finger-Bart" finde ich KLASSE und den echten Bart mit DER Hintergrundgeschichte jetzt auch. *kicher*

    Hoffe die beiden können noch VIIIIELE 7 Monate ihren Laden feiern.

    LG Sarah

  • Anna sagt:

    Jan und Liselotte, ich kenne Euch zwar nicht, aber auch von mir schon mal (einen Tag zu früh, so wie's aussieht) alles Gute zum siebenmonatigen Ladengeburtstag! Und weiterhin möglichst stabile Gesundheit Euch beiden – zum Arbeiten und zum Tun sicherlich auch anderer Dinge, die Euch außerdem auch noch am Herzen liegen! Mutige "LEBER" = Menschen, die ihr Leben mutig leben, seid Ihr, glaube ich!

    Smilla, das Hemd steht Dir bestimmt toll! 🙂

  • Den beiden möchte ich auch nur das Beste wünschen. 🙂

  • smilla sagt:

    naja, ganz ehrlich, an der Puppe gefiels mir noch besser, aber man muss ja realistisch bleiben, das Hemd ist toll!
    ich sollte mal ne jeansblogreise machen, dachte ich, als ich die ganzen Videos bei schraubergott angesehen habe.

  • slo sagt:

    .. toller Beitrag und der Frauenbart ist eine lustige Idee.
    Weiterhin viel Erfolg und so tolle "Bilder-Leute-Geschichten",
    Slo

  • … den beiden wünsche ich von herzen alles gute für den laden und für sie privat. so authentisch wie die beiden rüberkommen … super angenehm.
    und ja, der laden wäre genau das richtige für mich – das auto allerdings ebenso.
    lieben dank fürs zeigen!

  • Oona sagt:

    Gerade erst wieder gekommen von der Reha nach Hause werde ich mich am Feiertag gemütlich vor das Laptop setzen und nachlesen, was Du in den letzten 6 Wochen so gepostet hast.
    Melde mich also hiermit zurück :O)
    Viele liebe Grüße nach Köln !!!
    Oona

  • super süß und sehr beneidenswert, dass die das so im beruf und alltag kombiniert bekommen. ein träumchen 😉

    groetjes
    vreeni

    vielleicht ist das label ludovika van inkpen was für dich? es gibt gerade ein give away dazu bei mir. mein erstes 😉

    liebe grüße und eine schöne woche…
    vreeni
    freak in you

  • Bin gerade zufällig über deinen Blog gestolpert – du bist eine wunderbare Geschichtenerzählerin, Smilla! Persönlich sind mir die Texte einen Tick zu lang für einen Blogpost, aber ich freue mich über die wunderbaren und gefühlvollen Fotografien.
    Gruß aus dem Schwoobeländle, Uwe.

  • smilla sagt:

    Hallo Uwe, vielen Dank, ich freu mich sehr. tja, mit den texten ist es immer so eine Sache, manchmal könnt ich noch viel mehr schreiben und streich dann schon immer wie wild. Manchmal gibt es gar nicht viel zu schreiben, das find ich dann auch schwer 🙂

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