Ein Zimmer und Essen

Ein Bild das momentan in meiner Aus- stellung hängt und mich immer wieder in seinen Bann zieht ist das Portrait von Adile. Ich habe sie an meinem letzten Tag in Istanbul getroffen.Wenn man Sultan- ahmet, das touristischste Viertel Istanbuls, hinter sich lässt gelangt man schon recht bald nach Kumkapi. Hierher verirren sich nur sehr selten Touristen, und ich stelle mit einiger Verblüffung den rasanten Wechsel im sich daraus ergebenden Strassenbild fest. Kumkapi ist ein armes Viertel. Viele Griechen und Armenier leben hier, aber ich sehe auch schwarze Men- schen und komplett verschleierte Frauen. Es ist ein bunter Mix der Kulturen. Adile ist Armenierin und gehört zur nicht-muslim- ischen Minderheit von Istanbul. Sie ist 53 Jahre alt und lebt in einem kleinen Zimmer dessen Tür direkt auf die Strasse führt. Morgens stellt sie einen Stuhl nach draußen und baut einen kleinen Tisch auf, auf dem sie ein paar Dinge ausbreitet und zum Verkauf anbietet. Sie ist Witwe: „Seit mein Mann gestorben ist lebe ich hier in diesem Zimmer.“ Es gehört der armen- ischen Kirche, die sich direkt um die Ecke befindet. Die Sachen die sie verkauft – Kleidung, billiger Schmuck, ein bisschen Hausrat – wurden der Kirche gespendet. Davon lebt sie, und sie sagt sie braucht nicht viel zum leben. Adile ist froh, dass sich eine Fremde für sie interessiert denn sie fühlt sich von der Welt vergessen. „Ich habe ein Zimmer und ich habe zu essen. Da bin ich froh. Aber das reicht nicht um glücklich zu sein. Man braucht andere Menschen um sich herum, Kontakt, das Gefühl jemandem wichtig zu sein.“
One of the pictures in my current exhibition is the portrait of Adile, and it keeps catching my attention.I met her on my last day in Istanbul. If you leave Sultanahmet, the most touristic district of the city, you reach Kumkapi after a short stroll. Almost no tourists find their way to this part of Istanbul, and I’m quite surprised about the sight of the streets and the atmosphere which occurs. Kumkapi is a poor district. Many Greeks and Armenian people live here, but I also meet black people or women with full-lenght veils. It’s a varied mixture of cultures. Adile is Armenian, and so she belongs to the minority of non-muslim people of Istanbul. She’s 53 years old and she lives in a small room, directly on the roadside. In the morning she puts a table outside in front of her room and there she offers things to sell. She’s a widow: „Since my husband died I live in this room.“ It belongs to the armenian church right around the corner. The things she offers were contributions to the church, and Adile earns her money by selling them. She tells me that she doesn’t need much in live. She’s glad that someone from outside is interested in her story, because she feels forgotten: „I have a room and I have food. That’s good. But to be happy you need more than this. You need other people, you need to be connected and someone who cares about you.“
18.09.2010

30 Comments

  • AnkeD sagt:

    Es ist viel Kraft und Würde in Adiles Gesicht. Schlicht und stark. Tolle Frau, eindrucksvolle Fotos. Danke Smilla.

  • Ulla sagt:

    … ein schreckliches Gefühl, sich von der Welt vergessen zu fühlen.

    Einen Menschen wünsche ich Adile -wenigstens einen-, der ihr das Gefühl schenkt, wichtig zu sein.

    Sie hat ein so warmes Lächeln … ein wenig verhalten scheint es, aber es erreicht ihre Augen und das ist gut.
    Das zweite Foto zeigt ein wenig von ihren Schatten in den Augen … von ihrer Traurigkeit.

    Augen Mund und Hände …. wieder einmal sehr gut eingefangen von dir, liebe Smilla.

    Deine Bilder, deine Texte – ich mag sie sehr.

    Sonntagsgrüße nach Köln

    schickt

    Ulla

  • Anna sagt:

    Da hat Adile sehr recht!

  • mo jour sagt:

    welche schönheit.
    welche würde.
    so klar.
    the most important task in life: to make yourself matter.

  • rebhuhn sagt:

    sie fühlt sich von der welt vergessen – die frau tut mir sehr leid… ich glaube, daß es viele menschen gibt, die so leben; viele machen sich das wahrscheinlich [zu recht lieber] nicht bewußt. – mich würde interessieren, was sie an dem band um ihren hals trägt!

  • Liebe Smilla,
    ich habe Deinen Blog erst vor ein paar Tagen entdeckt und finde ihn wunderbar! Er fasziniert mich! Ich schaue sehr gerne bei Dir vorbei.

    Diese Schicksal berührt mich besonders…
    Ich freue mich schon auf das Nächste!
    Liebe Grüße
    Verena

  • Corinne sagt:

    Liebe Smilla.
    Ich lese dein Blog nun schon seit einiger Zeit und habe festgestellt, dass er mich verändert hat: Oft, wenn ich in der Stadt unterwegs bin, überlege ich, ob du mich wohl fotografieren würdest, so wie ich aussehe. Und das inspiriert mich, mich doch einmal mehr mit Mode und mir zu beschäftigen, mal etwas zu wagen und nicht wie der Durchschnitt aussehen zu wollen.
    Danke 🙂

  • Liisa sagt:

    Wie viel Kraft dazugehört, trotzdem jeden Morgen wieder aufzustehen und sich einem weiteren Tag zu stellen – aber vielleicht sind es genau solche überraschenden Begegnungen wie mit Dir, Smilla, die Adile helfen, es immer wieder zu tun. Ich würde ihr auch sehr wünschen, dass es nicht nur bei solchen kurzen Begegnungen bleibt, sondern sie wenigstens einen Menschen findet, der um sie bleibt, so dass sie nicht nur leben, sondern glücklich leben kann.

  • Oona sagt:

    Gut auch dies Bild zu sehen.
    Möge sie glücklich sein.
    Möge sie sich sicher und geborgen fühlen.
    Möge sie gesund sein.

  • Andreas sagt:

    @Corinne: Mir geht es ähnlich, allerdings nicht auf mich bezogen, sondern auf andere Menschen, denen ich begegne, bei denen ich mir denke: ja, das wären vermutlich gute KandidatInnen für Smilla. So geschehen vorletzte Woche ganz oft, als wir eine Woche in Krakau waren, mit einer wunderschönen und vollkommen kriegszerstörungsverschonten Altstadt versehen und einem traumhaften 200x200m großen weiten zentralen Platz, der schon fast italienische Anmutung verströmte, und einer eindrucksvollen Mischung von Jung und Alt, nicht zuletzt geschuldet der unwahrscheinlich großen Anzahl von StudentInnen (150.000!), die an den dortigen 11 Hochschulen und weiteren zahlreichen Schulen lernen und studieren.
    @Smilla: Krakau ist eine Reise wert!

  • klickerklacker sagt:

    Ausstellung?du machst eine ausstellung?wo denn?bist du auch da? mit kamera? …ichwar weg ein paar Tage…

  • smilla sagt:

    Andreas; Krakau klingt sehr interessant, Polen überhaupt, wenn ich es so recht bedenke.
    Danke für die Anregung

    Corinne, danke auch dir für deinen Kommentar, das freut mich zu lesen, schöner Effekt 🙂

    Und überhaupt freue ich mich, dass Adile so regen Zuspruch findert, sie würde sich sicher freuen darüber!

    rebhuhn, tja, da machst du mich nun auch neugierig, ich habe sie nicht gefragt; vielleicht ein Kreuz?

  • Würde gerne deine Bilder life sehen, sicherlich faszinierend. Gruß, Éva

  • jemand sollte nochmal hinfahren und ihr die kommentare hier zeigen.

    ihre geschichte macht mich traurig.

  • smilla sagt:

    Linda, wenn ich wieder hinfahre, und das werd ich sicher tun, dann besuche ich sie und zeige ihr all dies. Ich könnte vielleicht auch die Kirche schreiben…mal sehen, ob das klappt

  • elke sagt:

    Das ist ein sehr berührendes Portrait und eine sehr berührende Aussage. Sie sagt ja, dass man ist nicht arm ist, wenn andere Menschen einen wahrnehmen, wenn man verbunden ist. Vielleicht ist es auch die Trauer um ihren Mann, der die Welt für Adile arm sein läßt. Vielleicht ändert dies sich wieder, wenn sie weniger traurig ist. Ich denke, sie würde sich über die Bilder und Blog-Kommentare deshalb sehr freuen. Liebe Grüße
    Elke

  • Mim sagt:

    Smilla: You've brought Adile into a circle, into this web. I hope your connecting with her will somehow lead to other connections . . .

  • Andreas sagt:

    @Smilla: Ist die armenische Kirche, neben der Adile wohnt, hier in der Liste zu finden (es gibgt ja ein paar Einträge in Kumkapi): http://www.mymerhaba.com/Armenische-Kirchen-in-der-Turkei-1210.html
    Vielleicht ließe sich was dorthin faxen für Adile.

  • carmen sagt:

    die geschichte über adile berührt mich auch sehr. es wäre wirklich schön, wenn sie die ganzen kommentare per post bekommen könnte. sie würde sich sicher sehr freuen, wenn sie erfährt, dass jetzt wieder mehr leute an sie denken.
    ich wünsche ihr wirklich das allerbeste, und dass sie schnell wieder richtige freunde in ihrer umgebung findet. das wünsch ich ihr wirklich.

  • smilla sagt:

    Andreas, und alle anderen, danke sehr für den link! ich werde versuchen ihr zu schreiben, das wird sicher möglich sein, ich kann es ja auch im Stadtplan nachgucken.
    ich bin wirklich ganz begeistert von der Anteilnahme von allen und deinem Hinweis jetzt hier, toll!
    Danke!! 🙂
    Ich werde nochmal fragen nach einer Übersetzung ins türkische.

  • Andreas sagt:

    Mich interessiert ob es mit der Übersetzung schon geklappt hat 🙂

  • smilla sagt:

    Andreas, um die wahrheit zu sagen, ich hab so viel zu tun gerade, dass es etwas in deen Hintergrund getreten ist….wie es so geht..
    da kommt deine Anfrage eigentlich sehr gelegen, als Motivationsschub, danke also, ich schreib heute abend die emails. lg smilla

  • Volkan sagt:

    Hab lange Zeit nicht mehr in dein Blog geschaut liebe Smilla, weil ich nun von Köln nach Hamburg gezogen bin. Ich muss zugeben, ich lese nicht alle Storys, aber bei Adiles Bild bin ich hängen geblieben. Der letzte Satz ist mir sehr nah gegangen. Tolle Story + Bild!!!

  • smilla sagt:

    Hey Volkan, Hamburg…das ist ja was…Hab gestern Cenk und Dino getroffen am Rhein.
    Viel Spaß an der Elbe,
    und danke..

  • Andreas sagt:

    Smilla, gibt es Neues von der Übersetzung für Adile?
    Neugierige Grüße, Andreas

  • Anonym sagt:

    Inzwischen gibt's keine weiteren Einträge über Adile. Es zeichnet sich ab, daß ich nach zwei, drei Wochen nach Istanbul fahre, nur übers Wochenende,aber nicht als Touristin. Ich würde so garn Adile aufsuchen und daher meine Frage: Welche armenische Kirche ist "um die Ecke" bei Adile in Kumkapi???? Der Link zur Liste ist gut, aber ohne weitere Anhaltspunkte weiß ich natürlich nicht, welche Kirche es ist.
    Ulla 39

  • smilla sagt:

    Ulla; ich hab ein ganz furchtbar schlechtes Gewissen, weil es ich es noch immer nicht geschafft habe, Adile die Übersetzung zu schicken.
    Sehr unangenehm ist mir das.
    Sprichst du denn türkisch? Adile spricht nur türkisch, ich hatte Glück, dass eine Türkin unser Gespräch übesetzt hat. Mailst du mir deine mailadresse? smilla(ät)anders-anziehen.de

  • Andreas sagt:

    Ahh, dann dürfte Adile bald den übersetzten Text erhalten – schööön und spannend! Freue mich auf die Rückmeldung von Ulla!

  • smilla sagt:

    Andreas, ja, sie hat gerade eine mail geschickt, und mich gebeten dies hier zu veröffentlichen:

    "Ulla hat sich rückgemeldet. Nur suchen wir ein, zwei, drei Menschen, die jeweils einen Teil des Textes ins Türkische übersetzen, um Gottes Lohn, wie es so schön im Deutschen heißt. Jedenfalls will ich Adile aufsuche. Es wird wohl das Wochenende nach Pfingsten sein, also später als ursprünglich geplant."

    In ein paar Tagen werden wir wieder Kontakt aufnehmen, und wenn jemand sich meldet der beim übersetzen hilft, freuen wir uns sehr.
    Es ist erstaunlicherweise wirklich schwieriger als man meinen sollte jemanden zu finden der unentgeltlich ins Türkische übersetzt.
    Und sowohl Ulla als auch ich haben Scheu, Menschen die schon mal für uns übersetzt haben, erneut zu fragen.

  • Anonym sagt:

    Habe Adile nicht vergessen, war aber lange krank und erst im September wegen eines Todesfalles in Istanbul. Da konnte ich mich leider nicht um Adile kümmern, die im übrigen ja gar nicht Adile heißt. Und die Kirche ist auch unbekannt. Aber ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, sie aufzusuchen.
    Es ist einfach, jemanden zu finden, der ins Türkische übersetzt, ABER nicht unentgeltlich. Leider….Ulla

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