Ela, die ich im Café ihres Großvaters Cemal kennengelernt habe, hat mich eingeladen, sie in ihr Haus zu begleiten: „Wir leben dort alle zusammen, meine Eltern, meine Großeltern, ich und meine jüngste Schwester.“ Ela ist (ich schrieb es schon) von leiser, aber überbordender Herzlichkeit. Wie könnte ich ihr Angebot ausschlagen.
Also machen wir uns gemeinsam auf den Weg vom Café – wo bis auf den Vater und Elas Schwester gerade die familiäre Hausgemeinschaft versammelt ist – und schlendern die kurvige Strasse bergab in Richtung Haus. Unterwegs zeigt Ela mal hierhin, mal dorthin; im oberen Teil der Strasse steht ein opulenter Neubau mit großen Panoramafenstern. Dort wohnt, so erfahre ich, ein berühmter Schauspieler einer beliebten Seifenoper. Ela kennt auch den Preis seiner Wohnung, denn der stand in der Zeitung; irgendeine Zahl mit Million hintendran, sehr teuer jedenfalls. Ein paar Meter weiter kürzt eine steile Treppe für Fußgänger den Weg nach oben ab. Die Stufen sind voll besetzt, überall sitzen grüppchenweise junge Leute zusammen. Es ist Freitag Abend, es ist warm, die Sonne geht gerade unter, und der Bosporus glitzert Weite und Geborgenheit zugleich in den nahenden Abend hinaus.
An der nächsten Biegung zeige ich auf einen bunten Strauss Peperoni, die am Fenster eines hübschen, gut erhaltenen Holzhauses zum trocknen draußen hängen. Neben dem Haus steht eine Palme. Bereits letztes Jahr habe ich hier ein Foto gemacht, auch damals hingen Pepperoni und Kräuter am Fenster. Ela freut sich – hier wohnt ihre Freundin.
Ela ist 23. In dieser Strasse, in diesem Viertel ist sie groß geworden. Wir erreichen das Haus ihrer Großeltern, ihrer Eltern, ihr Haus. „Da oben ist mein Fenster,“ sagt Ela und zeigt in den zweiten Stock. Dann erklärt sie mir alle anderen Fenster, während ich die Eingangstür suche. Die Tür ist aus Metall und schief in eine schiefe Mauer eingelassen. Alles hier ist schief, kaum sind wir in dem kleinen Innenhof, wo mich eine der sechs oder sieben Hauskatzen begrüßt, geht es schief weiter. Als ich selbst ein Kind war, wurde ich in einem markanten Moment meines Lebens mit dem Phänomen ‚windschief‘ bekannt gemacht. Hier, in Elas Haus, befinde ich mich nun in einer Art Zentrale des windschiefen.
Ela führt mich durch den Hof zur Haustür, aus der soeben ihr jüngere Schwester tritt. Sie verhält sich beruhigend jugendlich. Mit Ela wechselt sie mimikfrei nur die nötigsten genuschelten Worte, mich ignoriert sie weitgehend. Während sie ihre Turnschuhe anzieht, lese ich auf ihrem T-Shirt: Don’t kill my Vibe.
Weiter gehts, bitte hier entlang …
Ich frage Ela, wie es wäre, wenn sie einen Freund hätte. Und halte inne, vielleicht hat sie ja einen? Ich entschuldige mich für meine indiskrete Neugier, frage aber weiter: ob eine Ehe für sie arrangiert werden würde, oder ob sie frei sei in dieser Frage. Ich fühle mich hinterwäldlerisch. Aber Ela nimmt meine Fragen ernst und antwortet auf alles, und nein, keine arrangierte Ehe steht ihr bevor.
Als ich Ela erzähle, dass ich Cemals Café durch meine Freundin Simone entdeckt habe, legt sie ihren Namen aus Seifenbuchstaben und gibt mir hocherfreut alles als Geschenk mit.
Das Café von Elas Großvater Cemal wurde sogar mal in der GEO vorgestellt, mit ein paar anderen Cafés: „Aber sie haben seinen Namen falsch geschrieben!“ sagt Ela
Ich bedanke mich, schüttele aber den Kopf und versuche zu erklären, dass ich noch packen und die Wohnung aufräumen muss, weil ich ja morgen früh abreise. Ich fühle mich schlecht: einerseits ich habe ich Sorge, sie mit meinem Nein zu kränken, andererseits möchte ich so gerne noch ein bisschen Zeit für meinen ganz eigenen Istanbul-Abschied haben. Aber sie nickt, und ich muss versprechen, dass ich sie besuche, wenn ich wieder da bin.
Ela begleitet mich nach draussen. Diesmal bin ich diejenige, die im Hof ihre Turnschuhe anzieht. Auf meinem inneren T-Shirt steht: Thank you for the wonderful vibe.
Ja, das kann ich jetzt auch erwidern: Thank you for this wonderful Post. Lebendig, einfühlsam, bunt und unterhaltend führte der Weg durch die Straßen, die Wohnung und vornehmlich durch eine schöne Gastfreundschaft, alltägliche kleine Gesten, nette Begegnungen…
Mit sonnigen Grüßen, Heidrun
schön, Bilder und Text. Der Gast ist Gott sagt man dort. Und meint es.
Lieben Lisagruß!
Sponatan fällt mir eine Textpassage von Niedecken ein: "Guck mal wie die hier zu uns sind, und wie wir die in Köln ansehen…" (frei übersetzt, weil kölsch so blöd zu schreiben ist)
Danke für den Post !
Das Warten hat sich wieder einmal definitiv gelohnt – danke für diese wiederum herzenswarme Fortbeschreibung und Fortbebilderung Deiner Begegnung(en), die in Cemals Cafe ihren Anfang nahm(en)!
Ich komme gerade über die Zeitschrift We love living (Spezial) hier her, dort wurde Dein Blog empfohlen, und ich fand die Beschreibung so interessant, dass ich gleich mal nachsehen musste.
Hier bleibe ich, hier gefällt es mir!
Viele liebe Grüße,
Kerstin
ich mag auch diesen zweiten Teil 😉 Ja, ich denke, wie Anna, das Warten hat sich gelohnt!!
ich würde am liebsten jeden tag einen post von dir lesen!
sooo herzerwärmend, sooo einfühlsam die texte!
so geschmackvoll die fotos!
danke danke danke fürs teilen!!!
und wenn nicht jeden tag – vllt klappts ja einmal die woche? 😉
waldwanderer
Sehr schön geschrieben und gut wahrgenommen. Schaue gern mehr.
LG schurrmurr
Moin Smilla,
es ist so erfreulich etwas Neues auf Deinem Blog zu lesen.
Diese Bilder, die so ganz eine "Smilla-Handschrift" tragen.
Grüße an Dich
Oona
ich liebe Deine Portraits. So viel Wahrnehmung, so viel Wertschätzung. Wunderbar.