„Dreck hat auch was Ehrliches“

Benjamin habe ich an Weiberfastnacht fotografiert. Das Foto – Benjamins Blick und Ausdruck darauf – hat mich nicht mehr losgelassen, und so haben wir uns gestern noch einmal getroffen, und sind mehrere Rede-Runden durch den Kölner Stadtgarten spaziert.
„Es gibt so einiges, was ich attraktiver finde, als die Realität.“ sagt Benjamin, des­sen Beruf nicht zufällig mit der Erschaffung anderer, neuer, fiktiver oder künstlicher Welten zu tun hat. Er arbeitet beim Film; mal als Assistent der Außenrequisite, mal als  eigenverantwortlicher Szenenbildner.
Letzteres allerdings noch überwiegend für Low-Budget-Projekte oder Studenten-Pro­duktionen. Momentan befindet er sich in der Endphase der Vorbereitung für einen Science-Fiction Film, bei dem er neben der Ausstattung auch noch die Kostüme ent­worfen hat. „Ich kann mich bei solchen Projekten richtig austoben, ich kann üben und lerne viel dabei.“
I took this photo of Benjamin at the Women’s Carnival Day. Benjamins eyes and his expression have left a lasting impression on me and so I asked him for another brief encounter. Yesterday we met again at the park for a stroll and a talk.

„There are quite some things I favor over reality.“ Benjamin says. It’s not a coincidence that he’s working in a business, in which he contributes to create new, other, fictive or artificial realities. He works for the movies; sometimes as a propmaster assistant, sometimes as a production designer by himself. The latter he does mostly for low-budget-movies or students projects. Currently he’s busy to prepare a science-fiction movie, for which he doesn’t only developed the production design but also the costumes. „On these projects I can work very creatively, I can practice and I’m learning a lot.“

Benjamin hat ursprünglich Grafikdesign studiert. Den Bezug zu phantasievollen Formen des eigenen Ausdrucks hat er seit frühester Kindheit: „Meine Mutter hatte eine Bastelschule; für Kinder und Erwach­sene. Da war ich immer dabei und das fand ich ganz toll.“ Aufgewachsen ist er auf einem alten Bauernhof, den seine Eltern peu à peu restauriert haben. Benjamin erzählt von einer Kindheit mit dreckigen Klamotten vom draußen spielen, er erzählt von Hunden, Hühnern und Ponys, und von Eltern die ihren eigenen Blick aufs Leben hatten. „In unserem Dorf waren wir deswe­gen auch irgendwie Außenseiter, weil wir anders waren, nicht im Schützenverein und so…“ Die vermeintlich heile und saubere Welt, in der alles seine geregelte Ordnung hat, interessiert ihn auch heute noch nicht. Im Gegenteil: gäbe es nur diese eine Welt „würde ich wohl verkümmern.“ sagt Ben­jamin. „Dreck zum Beispiel hat auch was ehrliches, es ist nicht alles ‚Plastik-glossy‘ auf der Welt.“
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Originally Benjamin has studied graphic design. Since his early childhood he’s used to work creatively and  to express in  fanciful ways: „My mother ran an arts-and crafts-school for children and adults. I’ve always been around and I thought it was great.“ Benjamin tells of a childhood with dirty clothes from playing outside, with dogs, chicken and ponys, and with parents who have had their own perception of live. „We have been kind of outsiders in our little village, for this reason. We have been different than the others, we didn’t join the local rifle club and all that…“ Benjamin still isn’t interested in an idyllic world, in which everything is in perfect order. To the contrary: if there was nothing but this well-regulated world „I’d become stunted,“ Benjamin says. „Dirt is truthful, in a way. The world isn’t only plastic-glossy.“
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Ich frage Benjamin, ob ihn beim Film nur das fiktionale arbeiten inderessiert, oder ob er sich auch vorstellen könne einen Do­kumentarfilm zu machen, bei dem die Aus­einandersetzung mit der vorhandenen Rea­lität ja im Vordergrund steht: „Ja, viel­leicht. Aber ich würde mir auch dann ein Thema suchen, wo es um etwas unge­wöhnliches geht.“ Er würde auch dann von Menschen erzählen wollen, die sich eigene Wege in eigenen Welten erschaffen.
Benjamin selbst hat reichlich Möglichkeiten und Ausdrucksformen einen Gegenentwurf zur Realität zu schaffen, ihr zu entfliehen oder aber sie einfach zu ergänzen; er zeichnet, baut, bastelt, malt, fotografiert. „Am liebsten würde ich alles machen: Tanzen, Malen, Filme, es gibt so vieles. Aber das wären zuviele Trompeten für zu wenig Luft.“
Vieles von dem was Benjamin macht, macht er nur für sich. „Ich überlege mir immer sehr gut, was ich zeige und was nicht, und auch wem ich was zeige. Es fällt mir nicht leicht, meine Sachen zu zeigen.“
I ask Benjamin if he’s only interested in the fictional part of making movies, or if he could imagine to work on a documentary, as well, which of course would focus on reflecting reality. „Yes, maybe, but then also I’d choose a topic which covers a non-regular issue.“ His interest would be, to tell of people who found unique solutions in their unique world.
Benjamin himself has a lot of abilities to express his inner self: he draws and paints, he builts, tinkers and photographs. „I wish I could do everything; dance, film, paint, there are so many possibilities. But then there’d be too many trumpets, having not enough breath.“
Many of the things Benjamin creates, he does just for himself. „I consider very well, whether I want to share things with others or if I don’t want to. And I consider to whom I show my work. It’s not easy for me to show my work to other people.“

Sein Kostüm für Karneval hat Benjamin natürlich auch selbstgemacht. Damit setzt er seine persönliche Familientradition fort: „Früher, so bis zur Pubertät, hat mir meine Mutter immer mein Kostüm gemacht. Da wurde nie was gekauft, sie hat alles selbst genäht und das hat sie immer nachts gemacht.“ Benjamin war immer dabei, und hat anprobiert was gerade anzuprobieren war. Diese Näh-Nächte mit seiner Mutter hat er als intensive Zeit erlebt und sie sind für ihn eine wertvolle Erinnerung. Vor 2 Jahren ist seine Mutter gestorben. Ein selbstge­machtes Kostüm ist für ihn auch heute noch viel mehr, als nur ein selbst­gemach­tes Kostüm.
His carnival costume he has made by himself, also, of course. Doing so he continues his personal family-tradiotion: „Formerly my mom always sewed my disguise for me, until my puberty. She’d never bought anything; she alsways tailored it herself, and she did that at night time.“ Benjamin has always joined her; he tried things on if it was neccessary. These tailoring-nights he shared with his mother have been intense to him and he keeps them as a precious memory. Two years ago his mother died. A self-made costume to him is still much more than simply a self-made costume.
24.02.2013

18 Comments

  • Astridka sagt:

    Liebe Smila, ad eins: Es tröstet mich ungeheuer, dass andere auch zugespamt werden zur Zeit, nicht nur ich…
    Ad zwei: Einen tollen Menschen in einem ausdrucksvollen Kostüm hast du da wunderbar abgelichtet! Ich freue mich immer über all die verschiedenen Möglichkeiten, an Karneval in eine andere Haut zu schlüpfen. Und ich freue mich, wenn es Menschen gibt, denen es auch so viel Spaß macht, sich ihr Kostüm selber zu machen.
    Liebe Grüße
    Astrid

  • Brigitte sagt:

    hallo Smilla,
    da hast du mal wieder ein wundervolles Porträt von einem besonderen Menschen gemacht.,
    ich bewundere deine Art Menschen und ihre Geschichten "einzufangen".
    Du hast die Gabe, die Menschen die du trifftst ins richtige "Licht" zu stellen . Ich glaube jeder Mensch ist besonders, man muss ihn nur so sehen und du kannst das!!
    Herzliche grüsse
    Brigitte

  • tanïa sagt:

    Wow! Wie ausdrucksstark! Mit und auch ohne Kostüm. Und ich kenne das, wenn man am liebsten alles machen würde. Geht mir genauso. Auch das mit dem Zeigen der eigenen Sachen. Beweist aber das ehrliche Interesse für die Dinge, wenn man sie wirklich zunächst mal nur für sich tut und nicht für andere. Wenn sie dann noch anderen gefallen, umso besser! Ganz interessanten Mensch hast Du wieder gefunden, Smilla, und das Kostüm, lieber Benjamin, ist der Wahnsinn! Echt großartig!

  • Ja, momentan ist es ganz schlimm mit Spam. Leider!
    Dafür war dein Blick für diesen besonderen Menschen glasklar. Interessante Sichtweise, des jungen Mannes. Freigeist. Kreativer. Macher. Tausendleber! Einfach toll!

    Herzensgrüße,
    Jen

  • Ich bin das erste Mal auf deiner Seite und beeindruckt von deinem tollen Bericht. Ehrliche und klare Worte und Beschreibungen über einen sehr interessanten Menschen. Das Foto von Benjamin im Kostüm ist sehr beeindruckend, wie der Mann selbst scheinbar auch.
    Dein Bericht macht Lust, die Schreiberin und Beschriebenen kennenzulernen.
    Ich selbst bin hobbymäßig an einer Bühne tätig und kann nur zu gut nachvollziehen, was Benjamin beschreibt – sich eigene Welten erschaffen..

    Liebe Grüße und Danke für's teilhaben lassen
    Sabine

  • Sally sagt:

    Tolle, sehr intensive & persönliche Bilder, sein Ausdruck nimmt einen wirlich gefangen.
    Und das Kostüm(-Foto) ist ganz großartig!

  • Andrea sagt:

    Ich bin ja eher eine stille Beobachterin deiner Seite, aber dein Artikel hat mich so beeindruckt, dass ich mich auch mal zu Wort melde. Du hast einfach ein Gespür für ungewöhnliche Menschen und deine Fotos untermalen die unterschiedlichen Portraits auf wundervolle Weise. Sich eigene Welten erschaffen – das ist heutzutage gar nicht so einfach – toll dass es Menschen wie Benjamin gibt. Dankeschön für die großartigen Worte und Bilder

  • julia sagt:

    das erste bild ist wirklich… intensiv… genial getroffen!
    schön, dass du uns auch den menschen dahinter vorgestellt hast 🙂

  • Anna sagt:

    Benjamins Blick lässt eine/n wirklich nicht mehr los!

    Ansonsten "gestehe" ich, dass er mir unkostümiert fast besser gefällt. Einiges von dem, was er sagt, kann ich voll unterschreiben, anderes eher nicht; aber das ist eine andere Geschichte, die hier gerade nicht hin will…

    Danke für's Zeigen, wieder!

  • Nina Giesen sagt:

    Einen schönen Menschen hast Du da wieder entdeckt mit Deinem ganz besonderen Blick. Diese blauen Augen ziehen mich so sehr in den Bann, dass ich den Text gleich nochmal in Ruhe lesen muss, bin ganz abgelenkt, hach…
    Danke dafür!

  • In seinen Augen sehe ich etwas unendliches, tiefes… So wie der Ozean und der Himmel, und das nicht nur wegen der intensiv blauen Farbe. Sein Blick, sein Gesichtsausdruck ist ebenfalls intensiv und fesselnd, konzentriert. So, als wüsste er viel, als hätte er viel erkannt, mehr als fast alle Menschen…
    Die Art des Blickes erinnert mich außerdem an Professor Dumbledore, zumindest wie ich ihn mir vorstelle. (Für alle, die HP nicht mögen: die Figur von Dumbledore ist eins meiner Vorbilder, es ist also als ein unglaubliches Kompliment gemeint.)

    Sehr gut eingefangen wurde dieser Mensch und das, was er zu sein scheint… Ich würde mich nicht wundern, wenn ich richtig läge.

  • Carsten sagt:

    Wow, diesen Bericht mag ich besonders weil ich so viel von mir darin entdecke. Toll, Danke und mehr davon, bitte 🙂

  • text-burger sagt:

    Meine Güte ist der schön! 🙂 Aber das erste Bild ist der Hammer. Man kann gar nicht mehr weggucken. Wahnsinn!

  • Anonym sagt:

    Genau wie er sind meine Kinder hier aufgewachsen, doch so richtig kreative Seiten haben sie an sich nicht entdeckt bis jetzt…aber froh sind sie für die Kindheitsfreiheiten, teilweise noch mit freigeistigen WG-Mitgliedern…
    Das Kostüm, die Schminkweise….so großartig!
    Gruß von Sonja

  • Oona sagt:

    In einer Gesellschaft, wo alles blitzblank und allglatt und sauber, steril und gleich sein muss/sollte, da ist es erfrischend auch auf ein wenig "Dreck" zu treffen.
    Doch, der Mann strahlt was aus.
    Aber Deine Fotoarbeit unterstreicht es sehr. Schön der fallende

    Schnee. Weiß.

    Viele Grüße
    Oona

  • Anonym sagt:

    Behutsam zeichnest du mit Worten und Photographien wundervolle Menschenbilder Du hast den Blick in dein eigenes Herz und die Herzen anderer. Toll und vielen Dank dafür. Von dir würde ich mich auch zum Gespräch und Fotografieren einladen lassen.
    Bleib bei deiner Einfühlsamkeit
    Alles Gute und viele Grüße
    Ursa

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