Aus dem Leben genommen

 

Vor einer Woche, am Dia de los Muertos – dem mexikanischen Tag der Toten – ist eine friedliche Prozession durch Köln-Ehrenfeld gezogen und zufällig bin ich in sie hineingeraten. Eine bunt gemischte Gruppe war da leise, aber präsent auf dem Weg: Frauen mit traditionell geschminkten Gesichtern, Musiker, Mexikaner, Deutsche. Manche in kleinen Gruppen, manche für sich allein.

Ich stehe eine Weile am Straßenrand und sehe zu, wie der Zug vorüberzieht.  Etwas lässt mich beirrt und berührt innehalten: viele Menschen im Zug halten Blätter in die Höhe. Darauf zu sehen sind schwarz-weiss Fotos junger Männer und natürlich handelt es sich um Fotos der 43 vermissten Studenten aus Mexiko. Ich frage mich, ob inzwischen klar ist, dass sie nicht mehr am Leben sind – dies ist doch der Tag, der den Toten gewidmet ist.

Gretell ist Mexikanerin und lebt in  Deutschland. Sie ist Elektroanlageningenieurin in der Automobilbranche. „Lebend habt ihr sie genommen, lebend wollen wir sie zurück!“ übersetzt sie die Forderung, die den Fotos beigefügt ist.
Ob die Studenten sich nicht möglicherweise verloren gegeben fühlen, wenn ihre Fotos am Dias de los Muertes durch die Strassen getragen werden, frage ich. „Nein, “ sagt sie bestimmt. Gretell glaubt, dass die Studenten noch am Leben sind. „Viele glauben das.“
Gretell erklärt mir, dass der Tod in Mexiko eine andere Bedeutung hat als in Deutschland. Natürlich trauere man um Verstorbene, trotzdem sei der Tod an sich nichts Schlimmes. „Aber Mord ist schlimm!“ sagt sie.

Drogenkartelle, Korruption und Gewalt, das sei Alltag in Mexiko. „Die vermissten Studenten sind auf die Strasse gegangen, weil sie an einer Uni studieren, die vom Staat kaum Geld bekommt. Die Studenten dort kommen alle aus armen Familien.“
Gretell ist traurig und sie fühlt sich hilflos. Sie kommt aus Guerrero, dem Bundesstaat, in dem die Studenten verschleppt wurden. „Das ist meine Heimat. Nun bin ich hier in Deutschland, weit weg und kann nichts tun.“ Den Glauben an Polizei und Politik hat Gretell längst verloren: „Es gibt keinen Unterschied mehr zwischen dem Staat und den Drogenkartellen.“ sagt sie, und es klingt bitter.

Auf der Seite Illustradores Con Ayotzinapa geben Künstler, Illustratoren und auch Amateure den verschwundenen Studenten ein Gesicht; signiert mit dem eigenen Namen und verbunden mit der Forderung: „Ich will wissen, wo er ist.“
Auch Luis Angel, dessen Foto Gretell hier zeigt, ist dort mehrfach zu finden. Unter einem Bild steht: „Mi nombre no importa, lo que importa es que aparezcan él y todos los demás.“  was ungefähr heißen mag: Mein Name ist nicht wichtig, wichtig ist, dass er wiederkommt und alle anderen auch.“

Eine Woche später gibt es nun die Nachricht, die Studenten seien erschossen und verbrannt worden. Drei Bandenmitglieder haben gestanden.
Ob das stimmt ist noch nicht geklärt. „Ohne Beweise akzeptieren wir keine dieser Versionen“ zitiert Amerika21 einen Angehörigen: „Für uns leben unsere Söhne noch und wir fordern die Behörden auf, sie weiterhin zu suchen.“

Die Eltern hoffen, dass ihre Söhne noch am Leben sind.
Gretell hat keine Hoffnung mehr.


Traditioneller Totenaltar – Ofrenda. Aufgebaut im Allerweltshaus, das die Prozession am Dias de los Muertos organisiert hat.

Linktip:
Sehr lesenswertes Interview mit der mexikanischen Menschenrechtsaktivistin Alejandra Ancheita bei Deutschlandradio Kultur.
Zitat:
»Der Fall der Studenten ist unglaublich schmerzhaft für alle. Weil es Jugendliche sind, die aus indigenen Gemeinden kommen. Dort ist es für die Familien so schwer, ihre Kinder auf eine Universität zu schicken. Sie sollten dort Lehramt studieren und später in ihre Gemeinden zurückkehren als Lehrer, um den anderen Kindern Bildungschancen zu geben. Das war ein Traum!«

10.11.2014

4 Comments

  • Oona sagt:

    Da bleibt eine sprachlos. Irgendwie.
    Ein grauenhafter Wahnsinn.

    ***

    Liebe Grüße an Dich
    Oona

  • Anna sagt:

    Danke, liebe Smilla, dass Du es immer wieder schaffst, auch und gerade erschütternden Themen, die ich tagtäglich in den Nachrichten höre und doch nicht höre, weil ich aus Hilflosigkeit heraus äußere und erst recht innere Zugänge mehr oder minder sofort immer wieder neu kappe, Wege zurück zu meinem Herzen zu bahnen!

    Das neue Layout gefällt mir gut! Einzig die Überschriften und die linken Bildränder empfinde ich als ein wenig "gequetscht".

  • smilla sagt:

    Vielen Dank euch beiden!

    Anna, danke auch für die Rückmeldung zum Layout. Jetzt, wo du es sagst … Mein webmeister wird mich hassen :-))
    Mal sehen. Mir ging es vor allem darum, endlich größere Bilder zu haben. Ich muss mich selbst noch an den neuen Gesamteindruck gewöhnen.

  • Anna sagt:

    Smilla, ja, die Bilder kommen so auch echt noch besser zur Geltung! Und Dein webmeister soll sich hüten, Dich zu hassen! Wenn, dann soll er LeserInnen wie mich hassen, die solch korinthenkackerische (sorry für die unhöfliche Ausdrucksweise!) Hinweise geben!
    😉

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