Zu Besuch bei Ramazan

Während meiner Woche in Istanbul habe ich einen der wenigen Sonnentage genutzt und bin mit der Fähre nach Büyukada zu Ramazan gefahren, den ich bei meinem letzten Aufenthalt dort getroffen hatte. Verabredet waren wir natürlich nicht, aber es war leicht ihn zu finden und auch das Glück war mir hold: nachdem seine Pferdekutschkollegen mehrmals seinen Na­men über den Platz gebrüllt haben kam er schließlich aus der unübersichtlichen Men­ge der Faytons, wie die Kutschen hier heißen, hervor.
Wir haben uns beide gefreut und gemein­sam an einem Tischchen am Rande des Platzes Tee getrunken. Freundlich lächelnd und nickend, aber stumm wie verliebte Teenager saßen wir nun also da; jeder mit seinem eigenen Wortschatz, den der jeweils andere zu verstehen nicht in der Lage war.
Diesmal hatte ich auch kein türkisches Handy dabei, dass die Kommunikation er­möglicht hätte. Dank neuer Bestimmungen gleichen die Formalitäten beim Erwerb ei­ner türkischen Sim-Karte inzwischen einem Einreise-Antrag.
While I stayed in in Istanbul I took the chance to go to Büyukada on one of the rare sunny days during this week. There I wanted to visit Ramazan, who I’ve met last time I’ve been there. Of course we didn’t have an appointement, but it was easy to find him and I was lucky that he actually was around at the moment I arrived. His coachdriver-friends were shouting his name loudly and suddenly Ramazan stood right in front of me.
Both of us were happy to meet again and so he invited me to sit down and have a glass of tea with him. So we sat togeher, smiling friendly but not able to speak to each other for the reason that we unfortunately don’t share the same langauage. Like some teenagers in love we were just sitting silently, nodding to each other from time to time.
This time I actually didn’t have a local mobilephone; due to some new terms trying to buy a turkish SIM-card by now is almost as difficult as trying to immigrate into Turkey.

Um also Verbindung zu schaffen zwischen uns schien es mir am einfachsten eine Kutschfahrt mit Ramazan zu unternehmen. Auf Büyukada fahren keine Autos; Kutschen und Fahrräder sind die hiesigen Fortbe­wegungsmittel. Und längst nicht nur Tou­risten nehmen die Kutschen in Anspruch, wenngleich die berechneten Tarife recht unterschiedlich sein dürften.
In naher Zukunft sollen die Pferdekutschen nach und nach durch Elektro-Faytons aus­getauscht werden. Wie Ramazan darüber denkt, ob er die Umstellung mitmachen wird, all das kann ich zu meinem größten Bedauern nicht sagen. Überhaupt hätte ich ihn sehr gerne sehr viel gefragt.
Weiter gehts, bitte hier entlang…
To create a connection between us I decided to ask Ramazan for a coach-ride with his Fayton, as they are called. At Büyukada there are no cars allowed, the only means of transportation are Faytons and bikes. And the Faytons aren’t a tourist-thing only, eventhough tourists probably are charged a different price than the locals.
In the near future the horse-faytons will get replaced by electric faytons, step-by-step. Unfortunately I can’t tell you how Ramazan thinks about this, if he will join the change-over and whatever I’d loved to ask him about this. And believe me, I’ve had quite some questions.
Read more, this way, please…

So saß ich also erst mal hinten im Wagen und habe ausgiebig die Gegend und Ramazans Rücken betrachtet. Der wiederum hat, ungeachtet der Tatsache dass ich ihn ja nicht verstehen konnte, immer wieder während der Fahrt, und ich meine während der Fahrt, seinen Kopf zu mir nach hinten gedreht, allerlei erklärt und auf dies und das gezeigt, von dem er wohl annahm, ich wolle es fotografieren.
So I found myself sitting in the back of the Fayton, glancing around with a direct look at Ramazans back. And Ramazan himself kept turning around during the ride, and I mean during the ride, telling me things, pointing on this and that, whenever he thought that I might be interested to take a picture.

Kaum hatten wir jedoch den kleinen Ort hinter uns gelassen hat Ramazan ange­halten und mich nach vorne gewunken. Er ist ein wenig zur Seite gerückt und ich durfte neben ihm Platz nehmen. So also sieht Ramazan die Welt während einer Kutschfahrt. 
Right after we moved on from the little village Ramazan suddenly stopped the horses and asked me to sit beside him in front of the Fayton. So, this is how the world appears to Ramazan during a coach-ride.

Während der gleichzeitig bedächtigen wie wilden Fahrt haben die beiden Pferde sich neben dem ihnen zugewiesen Auftrag ausgiebig ihrer Verdauung gewidmet. Das linke Pferd hat wiederholt und ungeniert gegen mein Knie gepupst und beim spä­teren Versuch die Gründe für das Ab­schaffen der Pferdekutschen zu erfahren, war ein ersnthaft vorgebrachtes Argument: „Die Luft- und Umweltverschmutzung durch Pferdepüpse.“
During the ride, which was contemplative and wild at the same time, the horses attended to thoroughly digest besides their proper work. The horse on the left side repeatedly farted against my knee and when I tried to figure out the reasons for the replacement of horses later, one argument which somebody honestly told me, was: „Because of the pollution caused by the horse-farts.“

Unterwegs gab es viel zu sehen: allem voran Natur von schier verschwenderischer Schönheit. Während Ramazan immerzu vor tip-top sanierten Prachtbauten angehalten hat, damit ich ein Foto machen sollte, galt mein Interesse zu seinem Erstaunen eher der baufälligen Architektur und anderen, in seinen Augen scheinbar abseitigen Sehens­würdigkeiten.
There were lots of interesting things to see along the way: above all a most beautiful nature. While Ramazan constantly stopped in front of well renovated magnificent buildings, offering the oppotunity to take some pictures, my attention was caught by the ramshackle buildings, which seemed to deeply surprise Ramazan. 

Langsam zwar und mit Verwunderung hat Ramazan schließlich hingenommen, dass die chicen Fassaden mein Interesse nicht in ihm vertrauter Weise zu entfachen ver­mochten.
Slowly, slowly and quite amazed Ramazan finally accepted my confusing interests and also that the perfect facades wouldn’t enthuse me the way he obviously expected me to. 

Am liebsten habe ich sowieso ihn selbst fotografiert, allerdings habe ich mich höf­lich auf das mir gerade noch mögliche Minimum beschränkt.
My favourite subject was Ramazan himself, anyway. But by courtesy I limited myself on a minimum.

Wo sind eigentlich all die Pferde unter­gebracht, wenn sie nicht gerade Kutsch­dienst haben? Hier. 
Where are all the horses lodged when they are not in service? Here.

Meiner Vermutung nach werden hier also abends die Pferde im Stall untergebracht. Wie lang eine Schicht üblicherweise dauert, wieviele Kutschen abends noch im Einsatz sind und ob die Fahrer sich gegenseitig hier hin- und wieder weg­bringen? Ich kann es euch nicht sagen. So gern ich auch behaupten würde, und so sehr es auch zum Teil stimmen mag, dass man ganz gut auch ohne Worte auskommen kann. Ich hätte doch gerne mehr erfahren.
So, as far as I understood it the horses are staying at the barns for the night-time. How long a workshift lasts, how many coaches are still busy at night, if the drivers take each other from and to the barns, I can’t tell you. And even if I’d love to point out that words aren’t that necessary, and even if this is partially true; I’ve had so many questions I couldn’t ask.

In der Nähe der Ställe befinden sich die Kutschgaragen. Hier werden alte Kutschen wieder auf Vordermann gebracht oder aber ausgeschlachtet damit sie den üblichen Gang aller endlichen Polster beschreiten können.   
Close to the barns the coach-garages are located. Here the old coaches get whipped into shape again, or they draw their last breathe here.

Auch die schönste Kutschfahrt endet mal: bei der Einfahrt in den Ort musste ich wie­der nach hinten in den Wagen. Der Ab­schied war herzlich und in meiner Erinner­ung ganz ohne Worte.
Vorne links  im Lampenkistchen sind nun die Postkarten, die ich Ramazan mitge­bracht habe. 
Well, even the most beautiful coach-ride comes to an end: just before we arrived in the little village again I had to leave my front-row seat and sit back in the Fayton again. Our goodbye was heartfelt and we didn’t say a word, as far as I remember.
There, in the little light box in front of the coach, Ramazan put his postcards I gave to him.

8 Comments

  • Kristin sagt:

    Allein die Fotos sind wie eine Reise, und deine Worte machen eine runde Sache daraus. Ich bin begeistert von deinen Fotos, dem, was du entdeckt hast und für wichtig hältst zu fotografieren, abseits der touristischen Pfade. Ein wunderbarer Bericht!

  • Anna sagt:

    "Die Luft- und Umweltverschmutzung durch Pferdepüpse." – Jaja, und die Kühe sind an der Klimaveränderung schuld…

    Ach, Smilla, dieser Post ist so schön! Ich kann mir gut vorstellen, dass Du die fehlende gemeinsame Sprache vermisst hast, aber man sagt ja tatsächlich sinngemäß, dass einem oft die Menschen am nahsten sind, mit denen man auch schweigen kann… Wobei Ihr ja durchaus kommuniziert und Euch scheinbar doch an vielen Punkten auch verständlich gemacht habt. Den Fotos nach zu urteilen, trug Deine Kamera bzw. Dein Sinn für ihr Gebrauchen viel zu Eurer Kommunikation bei, wenn auch nicht immer Einigkeit über das passende Motiv sofort da war.

    Sehr schade, dass die Kutschen also verschwinden werden! Wenn er sie mitmacht, wird Ramazan die Umstellung hoffentlich dennoch gut bewerkstelligen. Ansonsten wünsche ich ihm eine befriedigende andere Lebensgestaltung welcher Art auch immer.

  • wieder eine superschöne geschichte, liebe smilla! und beeindruckende fotos! beneidenswert, wie du die menschen findest und noch dazu wieder!findest
    und dass du dich das traust ohne "sprache" – hut ab ! ganz liebe dornrös*chengrüße!

  • Flora sagt:

    Während des Lesens war ich ganz weit weg, raus aus unserer Küche und weg vom Laptop. Beinahe so, als wenn ich mit auf der Kutsche gesessen hätte. Wunderschön :).

    Und ich bewundere deinen Mut ohne eine gemeinsame Sprachbasis so einen "engen" Kontakt aufzunehmen.

  • smilla sagt:

    oh, danke sehr, ihr alle!

    Anna, haha, die Kühe sind schuld, genau!

    Flora und dornröschen; naja, es ist ja nur eine andere Form des Kontaktes, irgendwie war es auch sehr entspannend, sich einfach drauf zu verlasse, das schon alles gut ist wie es ist.

  • Deine Berichte über Istanbul sind einfach toll! Im Oktober diesen Jahres werde ich mich endlich selber von dieser Stadt umgarnen lassen und kann es nach deinen Berichten noch weniger abwarten!

    Liebe Grüße von Jenny

  • rebhuhn sagt:

    ja, daß du dich das traust, ist wunderbar. die fotos gefallen mir übermäßig – besonders der vom kutschbock aus nach hinten blickende, dir etwas erklären wollende [?] ramazan. der ist jetzt mein desktop-hintergrund. und ja, das ist ein riesenkompliment .).

    kannst du nicht bitte mal alle städte dieser welt auf diese art und ausführlichkeit bereisen???!
    [natürlich ein, wenn auch gewünscht ernst gemeinter, scherz, ne? :)]

  • smilla sagt:

    Haha rebhuhn, danke, schönen hintergrund hast du dir ausgesucht 🙂 fahr mal hin. Habe übrigens ein privates geigenkonzert mitanhören dürfen, das hätte dir gefallen.

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