Menschen am Bosporus

Istanbul ist für mich ein Sehnsuchtsort. Bin ich nicht hier, sehne ich mich her. Manchmal, wenn im Fernsehen ein Bericht über Istanbul kommt, dann schicken Freunde und Bekannte eine sms oder eine mail: „Jetzt grad, jetzt läuft was“, oder „Morgen Abend, hast du gesehen…?“ Dann muss ich entscheiden, ob ich es überhaupt sehen möchte. Ob ich mich der Sehnsucht stelle.
Und wenn ich dann hier bin – so, wie ich mich momentan glücklich schätzen darf, in Istanbul zu sein – finde ich mich konfrontiert mit einer anderen Form der Sehnsucht. Das ist eine Sehnsucht, die mich durch die Straßen treibt, durch Stadtviertel, an alte und an neue Orte – und immer wieder an den Bosporus. Ich kann sie einlösen, die Sehnsucht, ich kann prüfen, ob sie es wert war, die Reise anzutreten, und ich bemerke wie sie sich verwandelt. In etwas größeres, stilleres, in etwas, das weniger an einen Ort gebunden ist, als an einen Wunsch ans Leben.
Warum das gerade in Istanbul passiert – ich habe es noch nicht ergründet.

Meine Liebe für die Stadt und meine Liebe zum Bosporus teile ich mit vielen Menschen. Das weiß ich, weil Menschen über Istanbul schreiben, weil sie Fernsehberichte oder Filme drehen, weil Istanbul ein Touristenmagnet ist. Vor allem aber weiß ich es, weil man es merken kann. Die Istanbuler lieben ihre Stadt. Sicherlich lieben sie nicht alles an ihr, und nicht alles, was in ihr passiert. Aber sie wertschätzen ihr Umfeld – das unmittelbare und das etwas dahinterliegende auch noch. Und in der Mitte ist der Bosporus. Zumindest irgendwie in der Mitte. Und dort treffen sie aufeinander, die Menschen. Jeder geht, läuft, fährt an seinem ganz eigenen Bosporus entlang. Jeder darf einen Moment lang ganz allein sein mit ihm. Mit dem Bosporus oder mit seinem ganz eigenen Wunsch ans Leben – der sich hier so leicht in eine wortlose Klarheit findet, die im nächsten Moment schon wieder vom Alltag umfangen wird. Scheinbar.

Die Fotos sind im Fındıklı Park in der Nähe des Fähranlegers Kabataş entstanden. Hier verbringen Menschen ihren Feierabend – mit einem Çay und einem Balık Ekmek (gegrillter Fisch in Brot). Sie eilen zur Fähre nach Üsküdar und Kadıköy auf der asiatischen Seite Istanbuls, oder sie kehren gerade von dort zurück.
Wenn die Sonne den asiatischen Teil auf der anderen Seite ins Abendlicht taucht, sammeln die Budenbesitzer langsam sie Sonnenschirme ein.

9 Comments

  • beautyjagd sagt:

    Die Bilderstrecke ist großartig, danke für Deinen wunderschönen Blick – und den Text über die Sehnsucht.

  • Anonym sagt:

    Als Einzelbild würde man so eins vermutlich löschen, aber als Reihe gibt es dem Ganzen einen wunderbaren Sinn. Einfach toll. Macht Lust dort mal vorbeizuschauen – Danke!

  • Anna sagt:

    Schade, dass mein(e) Kommentar(e) von gestern Abend/Nacht verloren ging(en)… Und dass ich auch heute übermüdet bin und den Kommentar gerade nicht zu rekonstruieren weiß… Vielleicht später noch. Jedenfalls schon mal meinen Dank für Wort(e) und Bild(er)!

  • Hilla sagt:

    Einfach tolle Bilder, viele Grüße.

  • Anonym sagt:

    Poesie in Wort und Bild – sehr berührend! Grüße aus München an den Sehnsuchtsort – oder schon wieder Richtung Köln? – In jedem Fall gute Tage – ob am Bosporus oder am Rhein!

  • Anonym sagt:

    Sehr schöner Text. Ich war noch nie in Istanbul, …

  • lisa kötter sagt:

    Ach Istanbul- Du weckst die Sehnsucht….
    Ich liebe es seit über dreißig Jahren. Bei den letzten beiden Besuchen hab ich mich ein wenig erschreckt über manche zeitgeistig- mainstreamigen Tendenzen. Das Kulturhauptstadt- Jahr hat dem alten Mann am Bosporus nicht gut getan. Deine Bilder sind cok güzel!
    Iyi aksamlar!
    Lisa

  • Oona sagt:

    Schöne Bilder-Serie.

  • Fantastische Bilderstreite! Nächsten Sommer solltest du so einer auf den neuen Deuter Treppen machen. Die Kölner sehen ihr Städtchen doch auch so gerne als Sehnsuchtsort inszeniert. 😉

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