„Gender ist ja kein Elite-Thema“

Tarik studiert Medien- und Kommunika­tionswissenschaften in Wien, macht aber momentan ein Praktikum bei einer Fern­seh-Produktionsfirma in Köln. Bevor er nach Wien gegangen ist, hat er eine Zeit lang in Berlin gelebt, in Recklinghausen ist er aufgewachsen und seine Eltern stammen aus Eritrea. So richtig angekommen ist er bislang noch nirgends und seit kurzem hegt er die Vermutung, dass dies vielleicht weniger an den Orten, als viel mehr an ihm selbst liegen könnte. „Ich möchte schon gerne mal ankommen, irgendwo.“ sagt Tarik. „Darüber denke ich momentan häufig nach.“
Tarik studies media- and communication sciences in Vienna, but currently he’s a trainee at a TV-production company in Cologne. Before he moved to Vienna, he has lived in Berlin, he was raised in Recklinghausen and his parents are from Eritrea. He still doesn’t feel like he has landed at any of these places and  a short while ago, he started to wonder whether this isn’t caused by the places but by himself. „I’d like to settle down, somewhere.“ Tarik says. „At the moment I ponder over this quite often.“

Seine Wurzeln, sagt Tarik, liegen in Deutschland; hier ist er zu Welt gekommen und aufgewachsen. Trotzdem hat er sich seit seiner Kindheit immer anders gefühlt: „Man muss sich das nur vorstellen; z.B. in der Schule. Da sitzen 30 hellhäutige Kinder und mittendrin ein Tarik.“ Auf Reisen mit seinen Eltern nach Eritrea war es ähnlich: „Dort sind zwar meine Verwandten, aber ich kenne sie kaum, verstehe sie schlecht und sie verstehen mich schon gar nicht.“
Seine Eltern haben Tarik früh vermittelt, dass er sich mehr anstrengen muss, als die anderen Kinder, dass er am besten besser ist als sie. „Ich habe das nicht verstanden, warum das so sein soll.“ Tarik hat sich dem Leistungsdruck verweigert. „Ich hab ein schlechtes Abi; deswegen studiere ich jetzt auch in Wien, da gibt es keinen NC.“
His roots are in Germany, Tarik says; here he was born here and here he grew up. Nevertheless he has always felt different than others, yet since his childhood: „You just have to imagine: there is a class of 30 light-skinned kids and then there is one Tarik among them.“ When he travelled to Eritrea with his parents ist was quite similar: „There are my relatives, it is true. But I hardly know them, I hardly understand them and they understand me even less.“
Tariks parents have early pointed out, that he should try harder than other kids, that he better even should be better than them. „I didn’t understand why.“ Tarik refused to accept this kind of pressure. „My Abitur isn’t very good; that’s why I’m studying in Vienna. There’s no numerus clausus defined.“

Sehr früh schon wußte Tarik, dass er schwul ist. „Also war ich doppelt anders; schwarz und schwul.“
Vielleicht ist das Gefühl anders zu sein, der Grund für Tariks intensive Auseinander­setzung mit der Norm, dem vermeintlich Normalen. „Man kann sich der Norm hin­geben, oder man kann sie in Frage stellen.“ sagt Tarik. Er hat sich entschieden, den gesellschaftlichen Normen und Absprachen einen Spiegel vorzuhalten und seinen ei­genen Standpunkt zu formulieren.
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At an early age Tarik realized that he’s gay: „So I was different in two ways: black and gay.“
Maybe the feeling of being different causes Tariks intensive exposure of norms; of the so called normality. „Either you accept normality or you question it,“ Tarik says. He decided to hold up a mirror to social norms and agreements and to shape his own point of view.
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Im Nebenfach studiert er Gender-Studies und hier liegt eine seiner Leidenschaften. „An der Uni habe ich plötzlich Menschen getroffen, die sich mit ähnlichen Themen wie ich auseinandergesetzt haben, die Meinungen geteilt haben, mit denen ich vorher im Freundeskreis eher alleine da stand. Oder die vielleicht auch ganz andere Meinungen hatten als ich, aber sie haben eben Dinge reflektiert oder hinterfragt und es war einfach interessant, davon zu erfahren.“ Für Tarik hängen viele Aspekte eng zusammen; ihm geht es darum, ein öffentliches Bewußtsein zu schaffen für Ausgrenzung, Unterdrückung und Diskrimi­nierung: „Egal ob es um sexuelle, religiöse oder fremdenfeindliche Diskriminierung geht.“ Der Mechanismus sei immer der­selbe.
As a  secondary subject he studies Gender-sciences, which is one of his passions. „At the University I’ve suddenly met others who dealed with similar subjects like I did, who shared opinions, which I couldn’t share with anyone before. Or maybe they had different points of view, but they excogitated things and they scrutinized them and I thought it was interesting to get to know all that.“ For Tarik many aspects are related to each other; he wants to raise a public awareness for exclusion, repression and discrimination: „No matter if it’s sexual, religious or anti-immigrant opression.“ It’s always the same mechanism, he says.

Ein Thema, das Tarik beschäftigt ist die Verteilung von Geschlechterrollen, bzw. die Zuordnung bestimmter Eigenschaften zu einem bestimmten Geschlecht. „Auch wissenschaftliche Studien verfolgen oft das Ziel, nur die Unterschiede zwischen den Geschlechtern herauszuarbeiten. Wir ha­ben alle gelernt, das Männer diese, und Frauen jene Eigenschaften haben. Ich denke, Menschen haben bestimmte Eigen­schaften. Und die sind dem gesellschaft­lichen Verständnis nach dann  eher weib­lich oder männlich. Ich sehe es so, dass jeder Mensch diese Eigenschaften in sich trägt; aber wir haben gelernt, bestimmte Eigenschaften nicht zu zeigen oder auszu­bilden, weil sie nicht der Rolle des eigenen Geschlechts entsprechen.“
One topic which keeps Tarik busy is the classification of gender roles; the sexual stereotyping. „Even scientific papers only push arguments which point out the differences of gender. We have all learned that men have these qualities, and women those. I  think people have qualities. And in a social opinion these attributes are more feminine or more masculine. I think everyone contains these attributes within oneself; we simply have learned not to express or to develop some qualities, because they don’t fit the accepted gender model.

Tarik hat schon als Kind davon geträumt für das Fernsehen zu arbeiten. Gerade öffentlich-rechtliche Sender sieht er in der Pflicht auch und gerade zum Thema Gen­der Aufklärung zu leisten und wertneutrale Informationen zu liefern. „Angenommen du bekommst wöchentlich eine Stunde Sende­zeit; was machst du damit? “ frage ich Tarik. „Mh, eine Stunde Sendezeit… Da würde ich mein Talk-Format machen.“
Since Tarik was a child he wished to work for television. He thinks especially the public service broadcasting are under the duty of offering enlightenment concerning gender questions and to provide value-free informations. „Let’s say you have an hour a week, to broadcast your own show. What would you do?“ I ask Tarik. „Mh, one hour a week… I would put my talk-format into practice.“

Seit einer Weile beschäftigt er sich ge­danklich mit dem Konzept für eine Talk­Sendung. Sein Schwerpunkt sind dabei Gen­derfragen, die er aus den unterschied­lichsten Blickwinkeln beleuchten möchte: „Und zwar mit Menschen aus dem Leben, Menschen die davon betroffen sind. Üblicherweise sitzen in Talkshows ja immer Experten, die dann ihre Theorien äußern über etwas, das sie selbst kaum betrifft. Und dann sitzt da noch ein unbekannter Gast, der als Beispiel aus dem Leben dient. Aber das Gespräch führen meist die anderen.“ Tarik möchte dieses Verhältnis umkehren und sich den Inhalten auf eine lebensnahere Weise annehmen: „Gender ist ja kein Elite-Thema.“ Und er möchte zu einem Diskurs anregen, in dem Meinungen und Lebensentwürfen, die normativen Kon­zepten zuwiderlaufen, mit Wertschätzung begegnet wird.
Since a while he’s devising his concept for a talk-show. Gender topics are supposed to be the main subject, which he wants to examine from different aspects: „Namely with true-life people who are involved. Usually there are a lot of experts invited to talkshows, who are talking about their theories, but who mostly aren’t concerned from what they are talking about. And then there is maybe one single guest, who is supposed to tell from  true life. But mainly all the experts are talking.“ Tarik plans a setting in the reversed ratio, to thoroughly acquaint a topic from the real-life perspective: „Gender isn’t a topic of elite.“ He wants to encourage people to start a public dialogue, in which opinions and life-concepts are well accepted, even if they are contrary to normative ways of living.

Randnotiz: ich bin Tarik ins Gespräch gekommen, als ich kürzlich selbst für eine Sendung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens interviewt wurde, an der Tarik mitarbeitet. Weil das natürlich nicht der rechte Rahmen für ein Gespräch und Fotos mit ihm war, haben wir uns auf einen Spaziergang wiedergetroffen..
As a side note: I’ve met Tarik during an interview I recently gave for a show of a public served TV-channel, on which Tarik is contributing. For the reason, that this hasn’t been the right moment to talk to him calmly and to take pictures, we met again for a  talking-stroll.
04.03.2013

15 Comments

  • Sehr superschöne Fotos…

  • Tolle Fotos, schöner Text, toller Typ!

  • julia sagt:

    wunderschöne bilder!

  • Stefanie sagt:

    Ich lese hier so gerne mit, da ich die Texte und Fotos immer als sehr bereichernd empfinde. Eine echte und wundervolle Begabung, so interessante und besondere und auch sehr individuelle Menschen in unserer schnellen Zeit "auf den ersten Blick" zu erkennen und wertzuschätzen…An vielen wäre ich wahrscheinlich vorbei gelaufen, durch Deine Posts hätte ich dagegen sehr viel Lust, sie noch näher kennenzulernen.

    Herzlich
    Stefanie

  • Oona sagt:

    Ich glaube, dass ich nicht erahnen kann, wie es ist gleich "doppelt anders" zu sein.
    Einmal "anders" reicht für mich schon. Öfter falle ich aus der "Rolle" und das ist nicht gerade lustig. Aber ich bin wie ich bin. Ein sehr langer Weg dahin mich anzunehmen und es ist erschreckend, wie wenig "Beweglichkeit im Geist" und Offenenheit bei anderen Menschen häufig anzutreffen ist.

    Ich wünsche Tarik, dass er eines Tages ankommt. Vielleicht ist einzig wichtig die Heimat im eigenen Herzen.

    Erstaunlich, was ein Mensch alles studieren kann.
    Und ganz sicher ist das Thema Gender kein Elite-Thema. Ich wünschte mir, dass die Gesellschaft – egal wo – in all den Jahrhunderten offener in ihrem Denken und in ihrer Wahrhaftigkeit geworden wäre als sie es jetzt immer noch ist.

    Die Fotos, liebe Smilla, sehr gelungen.
    Mir gefällt das zweite Bild von Tarik (mit der Spiegelung) ganz besonders gut.

    Ich grüße Dich von Herzen
    Oona

  • Patricia sagt:

    Die Fotos von Tarik sind superschön (ich kann mich gar nicht entscheiden, welches mir am besten gefällt) und dein Text ist mal wieder toll zu lesen. Tariks Perspektive auf die Welt gefällt mir sehr, ich wünsche ihm und uns allen, dass er es mal weit bringen wird in den Medien!

    Viele liebe Grüße,
    Patricia

  • mo jour sagt:

    what a mighty good man
    🙂

  • Kristin sagt:

    Wunderbare Fotos und sehr interessanter Text. Finde ich immer wieder toll, dass du Leute ansprichst und mit ihnen auf sehr interessante Weise ins Gespräch kommst. Und deine Blogbesucher daran teil haben lässt.

  • Heidi sagt:

    Hallo Sandra,
    ich lese und gucke hier immer wieder mit. Dein Blog ist etwas ganz Besonderes. Du verstehst es, die Menschen so mitten aus dem Leben herüberzubringen. Dazu die Fotos – meine Bewunderung.
    Tariks Idee, die Talk-Shows umzukrempeln ist eine Superidee. Ich kenne keine Talk-Sendungen in denen der Gast über das reden möchte, was ihn bewegt. Der Talkmaster weist die Richtung. -Echt öde-. Hoffentlich kommt Tarik da mal ans Ruder. Ich wünsche es ihm.
    Danke für all die besonderen Beiträge.
    LG heidi

  • Anonym sagt:

    Bereichernd!
    Dem jungen Mann wünsche ich so, so viel Gutes!

  • Was für grandiose Fotos! Ich lese hier schon lange, habe aber, glaube ich, noch nie was geschrieben. Das muss ich jetzt mal ändern 🙂 Ich liebe Deinen Blog! Was für tollen Menschen Du begegnest, deren Geschichten alle interessant sind. Danke für Deine wundervollen Beiträge und Fotos.

    Lieben Gruß
    Andrea

  • Anna sagt:

    Du solltest mit den Menschen, die Du portraitierst, öfter mal einen Spaziergang machen – die Fotos werden dann noch grandioser als sie ohnehin schon immer sind (siehe auch Addi.)! Ich kann mich nicht recht entscheiden, aber wenn ich mich entscheiden sollte, würde ich sagen, dass mir gleich das erste Foto am allerbesten gefällt: 1. Wie schafft man (Du) in einem Gespräch eine Atmosphäre, in der man (Tarik) zum Beispiel dafür offen genug ist, sich auf das bloße Straßenpflaster zu legen? 2. Fast Gänsehaut erzeugend, welche Würde Tarik gerade in dieser Körperhaltung ausstrahlt!

  • *HANNE* sagt:

    Wow – superschöne Fotos! Ein sympathischer und interessanter Tarik. Ich finde auch, daß Du öfter mal einen Spaziergang einlegen solltest 🙂 DANKE für Deine tollen Beiträge. Ich lese auch schon länger mit….Lieben Gruß *Hanne*

  • kahweh sagt:

    Auch ich muss unbedingt loswerden, dass das zweite Bild mit der Spiegelung besonders toll ist.
    Ich bin echt begeistert. Auch davon, dass es noch Leute mit gutem Schuhgeschmack gibt 😉
    Vielen Dank für diesen schönen Blog!
    Weiterhin viel Spaß dabei wünscht kahweh

  • Anonym sagt:

    Tarik ist sehr sympathisch, spricht mir aus der Seele.

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