Dornen. Und Rosen

„Wer es nicht wagt, den Dorn zu fassen, sollt‘ jede Sehnsucht nach der Rose welken lassen“ lauten zwei Zeilen eines Gedichtes von Anne Brontë.
Twydall ist 22 und dieses Zeilen sind für ihn eine Art Leitmotiv im Leben, dass, um im Bild zu bleiben, schon so manche Dor­nen für ihn bereitgehalten hat, die aller­dings keineswegs, wie man nun annehmen möchte, immer zu Rosen gehört hätten.
Als Twydall noch keine 18 war hat er in einem kleinen Gebüsch inmitten eines Kreisverkehrs gewohnt. Seine Mutter hat er im Glauben gelassen, er wohne bei Freun­den und offenbar war sie mit diese vagen Auskunft zufrieden.
Zuhause hat er es einfach nicht mehr ausgehalten und so hat er die Obdach­losigkeit dem unbehausten Elternhaus vor­gezogen. Frei hat er sich gefühlt und erleichtert darüber, auf sich gestellt zu sein. Dass seine Mutter, die Twydall allein erzogen hat, weder inneren noch äußeren Platz für ihn zur Verfügung hatte, schmerzt ihn manchmal. Trotzdem ist er nicht böse auf sie, er versucht zu verstehen. Sie, ihre Situation, die Zusammenhänge.
„He who dares not grasp the thorn should never crave the rose“, these are two lines of Anne Brontës poem „The narrow way“.
Twydall is 22 and in a way these lines describe a basic motto of his life, which, to use the same mataphor, has confronted him with quite some thorns, yet, and not all of them have belonged to roses, as  may be imagined.
When Twydall was hardly 18 he has been living under some small bushes in the middle of a roundabout. He told his mother that he would stay at some friends house and obviously she was totally fine with this vague information.
He simply could’nt stand living at home any­more and so he favoured being homeless over living in a place where he didn’t feel at home anyway. So he felt free and he was relieved to be on his own. Although his mother couldn’t offer him neither inner nor outer space, which makes him sad from time to time, he’s not angry with her. He trys to understand; her, her situation, the circumstances.

Allmählich ist Twydall in den Zeiten des Kreisverkehrs in die Drogen abgerutscht. Gras, Pillen, Alkohol, alles mögliche.
Irgendwann hat er begriffen, dass es so nicht weitergeht.
Mit den Drogen hat er inzwischen aufge­hört, das Thema sei für ihn durch, sagt er. Und lächelt eine kleine Relativierung hin­terher.
Weiter gehts, bitte hier entlang…
When he was living at the roundabout Twydall got lost bit by bit; he was on drugs more and more: alcohol, pills, weed, anything.  At some day he realized that he couldn’t go on like that.
Meanwhile he has quit the drugs, he says, he’s over it. And then he gives me a little qualifying smile.
Read more, please follow…

Twydall lebt in Brighton. Heute hat er ein  Zimmer in einer WG und er stellt eigenwillige Schmuckstücke her. In kleine Reagenzgläser füllt er beispielsweise zer­bröselte Rosen- und Blütenblätter. Aber auch mit Fliegen, Bienen und anderen Insekten kreiert er seine Reagenzglas-Preziosen. In Kneipen und staubigen Haus­fluren sucht er dafür die Fensterbänke ab. Ins Glas kommt nur, was die Natur dem Prozess des Verfalls anheim gegeben hat.
Twydall lives in Brighton. He shares an appartment with friends and he creates individual and unconventional jewellery. He puts crumbled patels from roses and other flowers into test tubes. But also flies, bees and other insects fill Twydalls „in-vitro-pieces“. He finds them in pubs and dusty hallways, where he sweeps the windowboards for dead insects. Only things whose rot has already set in Twydall uses for his own creations.

Auch tote Tiere, meist Unfallopfer, sam­melt Twydall und konserviert sie dann. Aus ihnen macht er allerdings keinen Schmuck sondern Marionetten. Das Kaninchen heißt Wilhelm und Twydall schreibt gerade ein Stück, in dem seine Figuren alle einen Platz bekommen. Vielleicht spielt sogar, als lebender Charakter,  sein Hund Raspu­tin mit. Wer weiß.
Twydall also collects dead animals, mostly crash victims, and he preserves them. He doesn’t make jewellery pieces out of them, though, but puppets. The rabbit above is called Wilhelm and currently Twydall is writing a play, in which all of his puppets can play a figure. Maybe even his dog Rasputin will participate; as a living character, though. Who knows.

Im Snoopers Paradise, Bightons wohl größten Secondhand- und Vintage-Store, befindet sich im oberen Geschoß das Snoopers Attic. Hier können Künstler, Krea­tive und andere eine Ecke mieten und ihre Waren verkaufen. Dafür muss jeder auch mal hinterm Verkaufstresen stehen und eine überschaubare Miete bezahlen. Twydall hat hier eine Kommode stehen und ansonsten verkauft er seinen Schmuck auf Märkten.
Die Zeilen von Anne Brontë hat er in die Schublade geritzt.
At Snoopers Paradise, one of Brightons largest secondhand- and vintage-shops, the Snoopers Attic is located at the first floor. Artists, creatives and others can rent a corner to sell their goods. In return everyone has to work at the counter periodically and they have to pay a small rent. Twydall has a well-placed dresser where he offers his pieces; apart from that he also sells at markets.
The two lines of Anne Brontës poem he has carved at the edge of the drawer.

29 Comments

  • tanïa sagt:

    Erstaunlich. Immer wieder erstaunlich. Was für spannende Menschen Du findest. Die Geschichten. Die Bilder. Dieser Mensch hier erinnet mich ein wenig an jemanden, den ich kenne. Und rührt mich auf eine ganz seltsame Art. Twydall…der Name allein. Die Marionetten, von denen ich nicht weiß, ob ich sie entzückend oder schrecklich finde. Der Reagenzglas-Schmuck. Das Brontë-Zitat. Die tragische Geschichte und dann noch dieser traumhafte Hund. Das hätte man sich alles für einen Roman nicht besser ausdenken können. Ich wünsche Twydall, dass er seiner Mutter verzeihen kann und begreift, was für ein Geschenk er ist. Ich bin echt sprachlos angesichts dieser ganz eigenwilligen Kreativität!

  • smilla, ich möchte dir nach längerer zeit nur mal dalassen, dass ich deinen blick für die menschen (und ihre geschichten) liebe. bitte, bleib noch lange!

  • Klickerklacker sagt:

    Was ein Typ…Hut ab!

    Ich denk mir oft: Kreativität muß raus! Das führt oft auch zu ganz verstörenden Dingen, wie zB Toter-Hase-goes-Marionette (es gibt ja Leute, die hängen sich Hirschköpfe an die Wand, oder essen Tiere…)

    Cooler 2nd Hand Laden!!

  • Astridka sagt:

    Wow, welche Geschichte!
    LG
    Astrid
    lemondedekitchi.blogspot.de

  • smilla sagt:

    Klickerklacker; schöner Vergleich, der mit dem Fleisch essen.

    Fräulein text: danke fürs dalassen 🙂

    Taniia, ich glaube Twydall ist gar kein herkömmlicher Name, es ist wohl eher ein Stadtteil, ich überleg schon dauernd wie wohl ein adäquater deutscher Name lauten könnte. Leider habe ich nicht nachgefragt, weil mir das natürlich nicht aufgefallen ist.
    Mich hat die Begegnung mit Twydall sehr gefreut.

  • rebekka sagt:

    … 'in den Zeiten des Kreisverkehrs' – du findest ganz oft wunderschöne Ausdrücke für das, was dir begegnet.

  • liebe smilla,
    eine faszinierende (lebens)geschichte!
    die tier -marionetten sind schon sehr bizarr…aber dieser laden und seine möglichkeiten sind toll…und passen zu dem, was man – zumindest äußerlich – von ihm erkennen kann. und sein name klingt "fabel"haft, märchengleich…mystisch…da steckt ganz viel sensible seele in allem.
    ddanke dir wieder für dieses "schätzchen"!
    liebe dornrös*chengrüße!

  • Anna sagt:

    "… Und lächelt eine kleine Relativierung hinterher…" – Ich kann mich mit diesem weiteren Zitat nur Rebekka anschließen und sagen, dass mich durch Deine einfühlsamen Bilder und Worte Twydall und seine Geschichte so sehr "erreicht" haben, dass ich gerade dadurch nicht sofort zu reagieren wusste…

    Es ist immer wieder beeindruckend, mitzukriegen, welch schöne innere und äußere "Rosen" gerade Menschen hervorbringen, die zuvor viel "Dornen" zu spüren bekommen haben! Auch wenn ich wünschte, dass ihnen die "Rosen" (ihre eigenen und die, die ihnen im Laufe des Lebens hoffentlich auch von anderen Menschen geschenkt werden) ohne so viele Dornen zuteil werden könnten – aber wahrscheinlich haben "Rosen" nun einmal "Dornen"…

  • nick kennedy sagt:

    Smilla,

    You're a poet and a wonder with words.

    I think Klickerklacker is right, Twydall is very, very rare as a forename, though not so rare as a surname. Maybe Twydall was named after the suburb in Kent, where there is a roundabout one might just consider to be inhabitable.

    Some people look like their dogs and your photo supports this: Two handsome strays. (Not to be taken disrespectfully).

    Nick

  • Xeniane sagt:

    Erster Eindruck: Mensch sieht der gut aus
    Erster Gedanke: Nimm dich zusammen,aus dem Alter bist du raus
    Eerste Reflektion:Tolle Geschichte! Noch toller als das Aussehen!

    LG Xeniana

  • Oona sagt:

    Interessanter Lebensweg bis jetzt.
    Grüße aus Bremen
    Oona

  • Anonym sagt:

    Es ist einfach toll deine Fotos anzusehen und die Geschichten dahinter zu lesen. Ich hoffe sehr, dass es bald einmal einen tollen Bildband von dir geben wird. So fesselnd und voller Gefühl. Das Buch ständ auf jeden Fall auf meiner "muss ich unbedingt haben"-Liste.
    Oder gibt es etwa schon eine gebundene Ausgabe zum in den Händen halten?
    Zum Post: Ich kann mich Xeniane nur anschließen.
    Danke für deine ganze Arbeit.
    Lieben Gruß Pia

  • Xeniane sagt:

    Den kennen wir,den kennen wir,rufen unsere Kinder aufgeregt,als ich ihnen diese Seite zeige. Der hat auf der kieler Woche das tapfere schneiderlein gespielt und der war richtig gut.Aufgeregt erzählen sie die ganze Geschichte. meine Frage :Kann das sein? LG Xeniana

    http://xeniana.wordpress.com/author/hostmami/

  • smilla sagt:

    Nick, thanks a lot, I mean, I'm always in trouble when I try to translate the german version. But anyway, it's a good practise and often I change something in the german version, because I read it so slowly.

    Anna, sehr schön gesagt, wenn ich das sagen darf 🙂

    Pia, tja, noch gibt es das nicht. ich fürchte auch, wenn niemand mich fragt wird es eher nicht passieren, ich kann mir nicht vorstellen, dass ich forsch genug wäre da bei verlagen vorstellig zu werden. Also, alles eher unwahrscheinlich 🙂
    Mich freut es aber immer, wenn ich gefragt werde ob es ein Buch gibt, ist ja ein tolles Kompliment.

    Xeniane, mh, ich denke eher nicht, vermutlich hätte er das doch erzählt, so ein "I've been to germany oder so… Eine Aähnlichkeit, ein Kunst-Bruder im Geiste und im Äußeren?

  • Anna sagt:

    Smilla, klar darfst Du! Warum solltest Du es nicht sagen dürfen? Und ich sag': Danke!

    Und in Anlehnung an Pia und Deine Antwort, Smilla, pack' ich unaufgeforderterweise den Stier bei den Hörnern und sage/frage: Jaaa, wo ist hier der Verlagsmensch, der Smillas Bilder und evtl. Texte in Buchform herausbringt??? Ich kauf's dann sofort! 🙂

  • Xeniane sagt:

    Ich würde das Buch auch sofort kaufen.Ich bin mir ziemlich sicher das es zu meinen Lieblingsbüchern gehören würde!!!!

    http://xeniana.wordpress.com

  • Oona sagt:

    Ich glaube, dass es eine Frage von Mut ist sich mit deiner Arbeit bei einem Verlag vorzustellen. Und dann eine Frage von Glück auf die passende Entscheiderin / Entscheider zu treffen.

    Der Gerstenberg- Verlag bringt sehr schöne Bildbände mit Text heraus. Zu vielen verschiedenen Themen. Freundinnen, Trauer, geliebte fremde Männer, Frauen am Meer, Frauen über 60 oder über Mütter und Töchter.

    Allerdings ist es etwas anderes, ob "deine" Menschen in einem Blog erscheinen mit ihren Fotos und Geschichten oder ob in einem Buch. Das hat gefühlt irgendwie eine andere Tragweite.
    Ob das dann deine Arbeit nicht bewußt oder unbewußt verändert?

    Aber wer weiß….die Zeiten und Motivationen ändern sich und ich halte doch eines Tages ein Buch von dir in meinen Händen.
    Das würde mich total freuen.

    Oona

  • Mim sagt:

    A mixture of gentleness and the macabre–dead animals made to seem alive.

    He's a striking figure!

    Be well,
    Miriam

  • Sally sagt:

    Was für eine berührende Geschichte, was für schöne, sensible Fotos.
    Ich war viel zu lange nicht hier!!!

  • Anonym sagt:

    wunderbare geschichte, wunderbarer mensch, wunderbares leben…………!!

    vielen dank dafür und auch für all die kommentare der andern !!

  • Elke sagt:

    Wunderschön! Danke sehr! Liebe Grüße Elke

  • Johanna sagt:

    Hallo,
    du portraitierst die Menschen sehr behutsam und einfühlsam. Und auf deinen Bildern sieht jeder wie ein Fotomodell aus, nämlich statt blossgestellt von der besten Seite gezeigt.
    Schöne Grüße, Johanna

  • text-burger sagt:

    Der Schmuck von Twydall erinnert mich an meine eigene Kindheit in der DDR. Wir haben früher auch die Glaspipetten von Nasentropfen z. B. mit PErlen, buntem Sand, Gewürzen etc. gefüllt, zugestöpselt und mit einem Lederband um den Hals getragen.

  • Sabine sagt:

    Liebe Smilla, schon lange verfolge ich Ihren wunderbaren Blog, diese Geschichte hat mich sehr angerührt, was für ein schöner Mensch….vielen Dank für die vielen ungewöhnlichen Menschen, Geschichten und besonders die tollen Fotos! lg Sabine

  • ..eine unglaubliche Geschichte, die mich gefesselt hat – und bei allem Unglück sieht man ihm auf den Fotos irgendwie auch das Glück der Freiheit an. Toller Post!

  • Anonym sagt:

    Ich glaube, das ist mein neuer Lieblingseintrag von Dir. Da passt alles.
    Oh, und ein Buch von Dir wäre fantastisch! Das wäre für mich eine Freude, die ich immer wieder zur Hand nehmen könnte. Und ich hätte gleich mehrere Weihnachtsgeschenke auf einmal – mit so einem Buch könnte man sehr viele Menschen erfreuen und glücklich machen. Denn Einträge wie dieser (und viele, viele andere von Dir) machen glücklich.
    Alles Liebe,
    Broe

  • gaebelchen sagt:

    Ich kann mich nur dem frl. text anschließen. Danke…..

  • ANNE sagt:

    Was für eine Schönheit!
    Was für eine Geschichte!

    Was für ein Blog!

    Danke für die Inspiration. Ich bin ganz erfüllt und froh hierhin gefunden zu haben.

    und dann auch noch Anne Brontë *seufz*

    Alles Liebe,
    Anne

  • Arryetty sagt:

    Diesen Twydall muss man einfach sofort gern haben.
    Von seiner Kunst würde ich gerne mehr sehen. Das kling zwar etwas makaber, aber auch sehr gut.
    Ach, ich könnte Twydall wirklich gleich in eine Romanfigur umwandeln, nur schätze ich, würde man ihn als solche als unrealistisch ansehen.

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